Stickerinnen stellten mir Fragen zum Grundstich, mit dem das lichte Fadengitter stabilisiert wird.

Sie wollten wissen, warum dieser Stich in der Schwälmer Weißstickerei diagonal zum Fadenlauf gearbeitet wird

und nicht im geraden Fadenlauf, wie er in einigen anderen Stickarten gestickt wird. (Für einige Stickerinnen wäre es viel einfacher, den Stich im geraden Fadenlauf zu sticken; Fehler im Einhalten der richtigen diagonalen Linie könnten vermieden werden.)

Mit horizontal und vertikal gearbeiteten Reihen könnte man den gleichen Effekt erzielen – einmal um jedes Fadenpaar wickelnd und je ein doppeltes halbes Kreuz über den Fadenkreuzen der Gewebefäden bildend.

Also, warum wird der Stich in der Schwalm diagonal zum Fadenlauf gearbeitet?

Meine Erklärung:

Als die Schwälmer Weißstickerei vor mehr als 200 Jahren aufkam, wurde sie meist von professionellen Stickerinnen ausgeführt. Diese suchten immer einen Weg, ihre Arbeit schneller erledigen und damit günstiger anbieten zu können. Diese Stickerinnen gaben ihr Wissen weiter. Damals stand Stickanfängerinnen kein Internet zur Verfügung und auf Bücher konnten sie auch nicht zurückgreifen. Sie übernahmen die Stiche, wie sie ihnen gelehrt wurden. Und im Lauf der Zeit fand diese Arbeitsweise den Weg in den Unterricht der Schwälmer Weißstickerei.

Zur damaliegn Zeit war es üblich, fast ausschließlich lichte Flächenfüllmuster zu sticken. Zeit war kostbar und lichte Muster bestehen meist aus zwei Arbeitsgängen: Erst wird das Fadengitter mit dem Grundstich stabilisiert, dann wird ein Muster mit Rosenstichen oder Stopfstichen in das Gitter eingearbeitet. Das Arbeiten dieser beiden unterschiedlichen Schritte erfordert viel Zeit.

Das Stciken des Grundstiches diagonal zum Fadenlauf ermöglichte es den Stickerinnen, eine Reihe unterschiedlicher Muster zu kreieren, ohne vorher ein komplettes Grundstichgitter arbeiten zu müssen. Denn wenn der Stich in diagonalen Reihen verläuft, kann man andere Stiche, die auch in diagonalen Reihen verlaufen, einfach daneben setzen, um unterschiedlliche Musterungen zu erreichen. Dieser Weg spart also Zeit. Nicht alle Muster kann man auf diese Weise arbeiten, nur diagonal gestreifte. Aber die Schwälmerinnen fügten ihren Stickereien immer solch diagonal gestreifte Muster bei, wie viele Beispiele zeigen:
Historische Schwälmer Weißstickerei
Historische Schwälmer Miederärmel-Stickerei (D)
Historische Schwälmer Miederärmel-Stickerei (B)
Die Flächenfüllmuster des historisches Schwälmer Miederärmels A

Grundstiche können kombiniert werden mit: Rosenstichen, Marburger Grundstichen, Doppelten Marburger Grundstichen, Französischem Stich, Französischem Stich – verkehrt, Französischem Stich – halb, Französischem Stich – halb mit Lücke und Französischem Stich – einseitig halb. (Alle diese Stiche sind in Mustertücher `Lichte Muster´ zu finden.)

Noch mehr Variationen kann man durch die unterschiedliche Anzahl von Reihen der verwendeten Stiche erzielen.

2 Kommentare
  1. Thank you Luzine for this great post!

    • Thank you, Merí!
      Do you know of an embroidery, where the openwork grid is stabilized with stitches worked in the straight of grain? I know a few, but ideally I would like to have a comprehensive list.

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