– was Stickerinnen (Weißnäherinnen) über diesen Handarbeits-Stoff wissen sollten

Blühender Lein

Blühender Lein

Eine wichtige und grundlegende Voraussetzung für gutes Gelingen jeder Handarbeit ist richtiges Werkzeug und geeignetes Material.

Gerade auch beim Praktizieren der Schwälmer Weißstickerei (Hessenstickerei) sollte man darauf achten – man investiert zu viele Arbeitsstunden in diese Technik, als dass man lappiges Gewebe oder schnell verschleißenden Stoff verwenden sollte.

Leinen ist sehr viel haltbarer als Baumwollstoff oder Mischgewebe. Daher sollte man immer reinem Leinen den Vorzug geben. Zugegeben, Leinen knittert leicht. Aber mit etwas Wäsche-Stärke versehen und vom leicht feuchten Zustand aus trocken gebügelt , entfaltet die Stickerei durch ihren zarten Glanz und die Schönheit des erlesenen Materials erst ihre wahre Pracht und Eleganz. (Tipp: Nicht schleudern, nicht in den Wäschetrockner geben, stattdessen möglichst tropfnass aufhängen.)

Leinen ist ein Naturprodukt und gilt als die haltbarste und umweltfreundlichste aller Textilfasern. Aber – Leinen ist nicht gleich Leinen. Daher möchte ich hier versuchen, die Unterschiede aufzuzeigen, damit Sie das beste Material für Ihre wertvolle Stickerei finden können.

Zunächst einmal Grundlegendes:
Leinengewebe werden aus Leinengarnen hergestellt. Leinengarne werden aus den Fasern der Flachspflanze (auch „Lein“ genannt) gesponnen.

Erst klein wie ein Kümmel,
dann grün wie der Klee,
dann blau wie der Himmel,
am Schluss weiß wie Schnee

Dieser kleine Reim bezieht sich auf Flachs bzw. Lein. Die Kürze dieses Reims täuscht ein wenig über die vielen Arbeitsschritte hinweg, die nötig sind, um vom Saatkorn zum gebrauchstauglichen Gewebe zu gelangen.

Aussaat und Blüte

70 Tage nach der Aussaat der kleinen Leinsamen beginnt die Pflanze zu blühen, ca. 30 Tage später ist sie erntereif.

Leinsaat / Leinsamen

Leinsaat / Leinsamen

Die reifen Samenkapseln

Die reifen Samenkapseln

Raufen

Die Pflanzen werden samt Teilen der Wurzel aus dem Boden gezogen – also „ausgerauft“, damit man auch den unteren Teil der Pflanze verwerten und möglichst lange Fasern gewinnen kann.

Eine reife Flachspflanze

Eine reife Flachspflanze

Riffeln oder Reffen

Die Samenkapseln und die Blätter werden vom Stengel getrennt. Die Samen werden als Ölfrucht verwendet oder als Körner für unsere Ernährung bereitgestellt.

Flachsstengel mit abgetrennten Samenkapseln, in denen sich die Leinsamen befinden

Flachsstengel mit abgetrennten Samenkapseln, in denen sich die Leinsamen befinden

Rösten oder Rötten

Um die Fasern der Pflanze gewinnen zu können, muss der verbindende Leim durch einen Fäulnisprozess gelöst werden. Dies geschieht, indem der Pflanze Feuchtigkeit zugeführt wird. Es kann der Tau auf dem Feld sein (Tauröste), auf dem die Pflanzen abgelegt wurden, es kann ein seichtes, unbewegtes Gewässer sein, in das die Pflanzen gebracht wurden. Es kann aber auch durch eine künstliche Rötte (Warmwasserrötte) vonstatten gehen.

Brechen

Durch das anschließenden „Brechen“ fällt ein Teil des Holzanteils aus den Stengeln heraus.

Aufgebrochener Stengel einer Flachspfanze

Aufgebrochener Stengel einer Flachspfanze

Schwingen

Beim Schwingen werden dann die restlichen Holzteilchen entfernt.

Hecheln

Bevor die Fasern versponnen werden können, müssen sie noch mehrere Male gekämmt werden. Dieser Vorgang, den man „Hecheln“ nennt, spaltet die zunächst groben Faserbündel in immer feinere auf. Eine gute Spinnerei legt großen Wert auf die Verarbeitung von sehr sorgfältig gehechelten Fasern.

Durch mehrere „Hechel“-Vorgänge gewonnene Faserbündel

Durch mehrere „Hechel“-Vorgänge gewonnene Faserbündel

Spinnen

Das Verspinnen der Langfasern erfolgt meist im Nassspinnverfahren. Früher hatte man an den Spinnrädern kleine Wassernäpfchen, damit man sich die Finger immer wieder mit Wasser benetzen konnte, um einen möglichst feinen Faden in gleichmäßiger Qualität zu erhalten.

Weben

Leinen wird meist in der klassischen Leinwandbindung gewebt. Für die Kettfäden muss ein sehr gleichmäßiges Garn verwendet werden, das zudem durch die Aufbringung von Stärken haltbarer gemacht und geglättet (geschlichtet) wird. Denn bei zu großen Unregelmäßigkeiten und zu vielen abstehenden Faseranteilen im Garn würden die Fäden durch die Scheuerbelastung auf dem Webstuhl zu oft reißen.

Ausrüsten

Das Rohgewebe wird zunächst heiß gewaschen, gebleicht und bei Bedarf optisch aufgehellt, manchmal auch eingefärbt.

Das „Krumpfen“, ein spezielles Verfahren, dass ein Einlaufen (Schrumpfen) des Stoffes verhindert, wird bei Handarbeitsstoffen nicht angewandt. Denn hier ist es beabsichtigt, dass das Gewebe nach Fertigstellung der Stickerei schrumpft. (Nach der ersten Wäsche läuft das Gewebe in der Breite um ca. 3 % und in der Länge um 8 bis 10 % ein) Das hat zwei Vorteile: Zum Einen lässt sich die Stickarbeit auf nicht eingelaufenem Leinen wesentlich einfacher ausführen, zum Anderen wird der
Leinenfaden nach der Wäsche fülliger, bekommt mehr Volumen, wodurch sich auch das Aussehen der Stickerei positiv verändert. Sorgfältig von Hand gebügelt wird man ein Stück von dauerhafter Schönheit und Qualität haben.


Wenn Sie mehr erfahren möchten, kann ich Ihnen folgende Links empfehlen:
http://www.gesamtverband-leinen.de/home/index,id,21.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Flachsfaser
http://www.rudolf.de/produkte/produktbroschueren/details/brochure/leinen-02-2010.html


Früher wurde der Flachs von Bauern (heute würde man sagen „Kleinbauern“) in allen Ländern mit gemäßigtem Klima, in Deutschland flächendeckend, angebaut. All die vielen Arbeitsschritte von der Aussaat bis hin zum Bleichen des fertigen Gewebes und zum Vernähen der aufgerollten Ballen zur perfekten Lagerung in Truhen, erfolgten an Ort und Stelle.

Mit dem Beginn der Industrialisierung verlagerte sich die Leinenspinnerei und -weberei in schnell wachsende Betriebe mit mechanischen Spinn- und Webmaschinen.

Viele Gegenden sind für gute Leinenqualität berühmt. Das Bielefelder Leinen nahm schon zu Zeiten der „Handarbeit“ einen Spitzenplatz ein. Aber auch Oberlausitzer Leinen, Schlitzer Leinen und viele, viele andere genossen einen guten Ruf.

Heute erfolgt Flachsanbau in Westeuropa in größerem Stil nur noch in Nordfrankreich, in den Niederlanden (Zeeland) und in Flandern/Belgien, also in Regionen mit maritimem Klima und langjährig gepflegter Tradition. Dort wird insbesondere langstapliger Flachs geerntet. Nur guter Rohstoff ergibt auch gutes Garn. Hochwertige Fasern werden überwiegend in Spinnereien in Frankreich, Belgien, Ungarn, Polen oder Fernost versponnen – in Deutschland wird seit einigen Jahren kein Flachsgarn mehr gesponnen. Danach werden die Leinengarne verwoben. Auch in Deutschland sind noch einige Webereien in Betrieb. Sie haben sich jedoch auf unterschiedliche Leinenqualitäten spezialisiert.

So stellt die Fa. Hoffmann in der Oberlausitz Stoffe für Tisch- und Bettwäsche her, die Firma Driessen in Schlitz ist Erzeuger von Tisch-, Bett- und Küchenwäsche, die Leinenmanufaktur Achern ist spezialisiert auf Bekleidung und Badtextilien.

Nur wenige Webereien sind auf die Herstellung von Handarbeitsstoffen ausgerichtet.
●„Vaupel & Heilenbeck“ in Wuppertal webt Leinenbänder
http://www.vaupel-heilenbeck.de/de_Galerie__Ausstellung.html
●„Vieböck“ in Österreich produziert Stickereileinen – so, wie ich es sehe, aber nur grober gewebtes
Leinen
http://www.vieboeck.at/de/produkte/meterware_accessoires.html
●„Eugen Übelhör“ in Österreich stellt verschiedene Stickleinen her
http://www.uebelhoer.at/index.php?option=com_content&view=article&id=32&Itemid=19&contentcategory=1
●„Zweigart & Sawitzki“ in Sindelfingen bietet Handarbeitsleinen an
http://zweigart.de/sticken.html?cat=11&gewebeart2=255
Auch in Frankreich und Belgien bestehen Leinenwebereien, deren Internetseiten ich leider nicht finde, nachgereicht – danke an die mitteilenden Leser:
● Aktualisiert 2021: Im Elsaß in Frankreich gab es die „Tissage Gander“, die u.a. schönes Leinen für Kreuzstichstickereien herstellte. Nachdem der Besitzer Michel Gander 2017 verstorben ist, wirde das Geschäft aufgegeben.
http://www.tissage-gander.fr/
● In Belgien befindet sich „Libeco“. Die Firma hat die führende und hochklassige Leinenproduktion „Lagae“ übernommen und stellt jetzt Leinen für das „tägliche Leben“ her – Handarbeitsleinen ist nicht darunter.
http://www.libeco.com/en/about-us/welcome.aspx
●„Weddigen“ in Herford
http://www.weberei-weddigen.de/

Die Weberei Weddigen produziert Bett- und Tischwäsche, Kirchenleinen und Handarbeitsgewebe. Vor vielen Jahren wurde auf Wunsch und unter Mitarbeit von Stickerinnen, die die Schwälmer Weißstickerei-Technik ausüben, ein spezielles Leinen entwickelt und erprobt. Es hat sich schnell für diese Sticktechnik am Markt durchgesetzt und bewährt und ist das meist gebrauchte Leinen für die Schwälmer Weißstickerei. Es handelt sich um das 16-fädige Weddigen Leinen (Artikel 925). Im
Unterschied zum z.B. 16-fädigen Zweigart Leinen besteht dieses Gewebe aus einem höheren Faseranteil (die Fäden sind breiter) und einem geringeren Luftanteil (die Zwischenräume zwischen den einzelnen Fäden sind schmaler), wie Sie im Vergleich der Vergrößerungen sehen können.

Links 16-fädiges Zweigart-Leinen, ungebleicht | rechts 16-fädiges Weddigen-Leinen, gebleicht

Links 16-fädiges Zweigart-Leinen, ungebleicht | rechts 16-fädiges Weddigen-Leinen, gebleicht

(Wohlgemerkt – wir sprechen von 16 Fäden pro Zentimeter, d. h. dass dieser Unterschied pro Faden nur wenige Zehntel Millimeter betragen kann, wie vielleicht in der starken Vergrößerung noch deutlicher wird.)

links_Zweigart_rechts Weddigen

vergrößerte Ansicht

Der Unterschied scheint Ihnen vielleicht marginal zu sein, aber wenn man erst einmal mit den verschiedenen Qualitäten gearbeitet hat, wird man durch das Ergebnis sehr schnell von der für die Technik der Schwälmer Weißstickerei geeigneteren überzeugt. Leinen für die Schwälmer Weißstickerei muss so dicht wie irgend möglich gewebt und vom erfahrenen Textilveredler derartig ausgerüstet sein, dass sich trotzdem Fäden ziehen lassen. (Regelrecht offen gewebte, gar durchscheinende Zählstoffe sind für den feinen gezählten Kreuzstich, nicht jedoch für die Schwälmer Stickerei geeignet.)

Wenn man einen höheren Gewebefadenanteil zur Verfügung hat , kann man seine Stickstiche genauer platzieren. Die Stickerei bekommt dadurch ein ordentlicheres und perfekteres Aussehen.

Auch bei den Flächenfüllmustern wirkt sich die größere Dichte des Stoffes positiv aus – die einzelnen Gewebefäden rücken nicht so dicht zusammen wie bei einem lockereren Gewebe. Die Muster werden dadurch markanter.

Für die Liebhaberinnen feinerer Leinengewebe gibt es das Weddigen Leinen mit 20 Fäden/cm. Etwas weniger dicht gewebt ist das 13,5fädige Weddigen Leinen (Artikel 160).

Zurück vom Ausrüster wartet das fertige, edle Erzeugnis auf den Versand in viele Länder der Erde und vielleicht auch auf Ihre geschickten Hände, die daraus auf vielfältige Weise wahre Kunstwerke entstehen lassen.

12 Kommentare
  1. Hallo Luzine, thank you so much for the very interesting information about linen and the flax plant.
    The embroidered items posted are beautiful.
    Regards
    Hannie from South Africa

  2. Hallo Luzine, you have done a wonderful job, exceptional detailed. Thank you for this great document. It will help me to answer questions my granddaughter has raised.
    All the best
    Waltraud Kater
    Wagga Wagga, Australia

  3. Linen is from flax seed plant??
    I never knew this. We treasure flax seed since it is so nutritious. our Indian medicine has flaxseed oil tablets too 🙂
    Thank you Luzine for this wonderful piece of information.

    Best regards,
    Deepa

  4. Thank you, Luzine, for this great article. I do Schwalm embroidery and finding the right linen is key to a beautiful piece. I also teach Schwalm at the Embroidery Guild I belong to. It is always a challenge to get the fabric. Your article is excellent, it explains well the differences in the fabrics. Thank you so much. Best Regards, Ana-Maria

    • Hallo Ana-Maria, yes,to have the right linen is very important and a key to the beauty of Schwalm embroidery, I think too. So it was me a concern to tell about.
      Best regards
      Luzine

  5. I habe diese gefunden, alles gut
    Joy

  6. I never knew that linen is from flax seeds!
    thank you for such an informative post.
    Love reading each of your posts.

  7. Thanks for the article about flax and weavers of linen. I’m so greatful for the links. I need to find places to buy good linen to traditional folkcostumes of Sweden.

    • I wish you great success. I made good experience with the Weddigen linen mill, but I need a special linen for Schwalm embroidery.
      I do not know of the quality of linen for costumes. But I found a link to a Lithuanian linen mill. https://linas.lt/en/
      May be, it is also interesting for you.

  8. Tissage Gander went out of business after the owner, Michel Gander, passed away in 2017.

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