Schwälmer „Mirrer“ (Mieder 1)

Das im Schwälmer Dialekt als „Mirrer“ bezeichnete Kledungsstück wird in der Literatur ganz überwiegend mit „Mieder“ übersetzt, obwohl es sich nicht um ein formgebendes Kleidungsstück handelt.
Auf den ersten Blick sehen Schwälmer Mieder eher unscheinbar aus. Kein Wunder, wurde das Mieder doch unter vielen weiteren Trachtenteilen getragen und von diesen überdeckt; bis auf die Ärmel mit ihren meist reich bestickten Aufschlägen war von dem Mieder nichts zu sehen. Die Ärmelstickerei jedoch ist etwas ganz besonderes und macht das Mieder zu einem der prächtigsten Teile der stolzen Schwälmer Tracht.
SM1_1Man trug die Mieder über Unterhemd und Geschirr. Sie waren knapp geschnitten, taillenkurz und ohne jeglichen Verschluss. Die Ärmel waren überproportional lang.
SM1_2Oft wurde sehr feines, handgewebtes Leinen zur Fertigung der Mieder verwendet. Die Mieder bestanden aus folgenden Teilen: 2 Ärmeln, 2 Zwickeln, 1 Rückenteil, 2 Vorderteilen, 2 seitlichen, schmalen Zwischenstücken und einem Passenzuschnitt für den Halsausschnitt. Fast alle Mieder wurden von Hand genäht. Die meisten Teile hatten gerade Kanten, nur für die Armausschnitte führte man die Schnittlinien von Vorder- und Rückenteil in einem ganz leichten Bogen.
SM1_3Um die Rumpfteile zusammenzufügen, die Ärmel und Schultern zu schliessen und die Ärmel einzusetzen, wurden Kappnähte gewählt.
SM1_4aDie Vorderteile wurden gesäumt, die Halsausschnittkanten wurden durch Passen versäubert.
SM1_5Alle Rumpfteile wurden so zugeschnitten, dass am unteren Ende Webkanten waren. Dadurch war eine Versäuberung des Stoffes nicht nötig. Auf diese Weise vermied man eine zusätzliche Mehrschichtigkeit und Verdickung des Gewebes im Taillenbereich.
SM1_6Die Vorderteile der Mieder waren etwas schmaler geschnitten als das Rückenteil. So reichte das Mieder nicht ganz bis zur vorderen Mitte.
SM1_7Auf der rechten Vorderseite des Mieders war mit farbigem Garn das Namenskürzel der Besitzerin mit Kreuzstichen eingestickt. Manchmal finden sich auch kleine Kreuzstichornamente zwischen den Initialen. (Solche Ornament- und Buchstabenvorlagen finden sich in dem Buch Schwälmer Kronen.)
SM1_8Zwischen Vorder- und Rückenteil wurde ein rechteckiger Streifen gesetzt;
SM1_9die Breite des Streifens wurde von dem Zwickel des Ärmels aufgegriffen.
SM1_10Die Ärmel verjüngten sich zu den Enden hin.
SM1_11Die Weite der Ärmel wurde auf den Schultern dicht auf ca. 4 cm eingekräuselt.
SM1_12Die Fältchen wurden durch mehrmaliges Einreihen für ca. 1 – 1,5 cm in Form gehalten. Das an die Fältelung angrenzende Nahtteil und ein Teil der Schulternaht wurden mit Schlängchenmustern verziert. (Weitere Schlängchenmuster findet man in der Publikation Schlängchen & Co.) Oft wurden zusätzliche kleine Motive in die Ecken zwischen den verzierten Nähten gestickt.
SM1_13Am unteren Ende wurden die Ärmel mit Stickereien verziert. Die Stickereien waren sehr unterschiedlich gestaltet und je nach dem Wohlstand der Trägerin unterschiedlich fulminant ausgeprägt. Immer aber gehörten eine Weißstickereiborte, Erbslochhohlsaum und Nadelspitze dazu, sehr oft findet man auch Stopfhohlsäume, manchmal auch Stopfhohlsäume in Verbindung mit Erbslochhohlsäumen.

Die verzierten Ärmelbündchen wurden weit nach oben aufgeschlagen,
SM1_14der verbliebene, unbestickte Stoff wurde ein weiteres Mal umgeschlagen,
SM1_15so dass die unteren Kanten die Ellbogen umspielten
SM1_16Den Verzierungen der Ärmelabschlüsse soll ein eigener Beitrag gewidmet sein: Schwälmer Mieder (2).

Schwälmer Tritzer

Tritzer sind aus Seidenbändern gefertigte Rosetten. Sie wurden zur Verzierung der Ausstattung sowohl von Babies und Kleinkindern als auch von armen Frauen verwendet. Denn Tritzer sehen niedlich aus und sind deshalb als Schmuck für Kinder gut geeignet; und sie sind relativ schnell und kostengünstig herzustellen und daher als Schmuck für niedrig-verdienende Frauen erschwinglich.

Tritzer findet man auf Kinderkäppchen und Mädchenkleidern, gestrickten Taufkäppchen, Baby-Tragetüchern, Strumpfbänder, Schürzenbändchen und Paradekissen.
Tritzer für Mädchen wurden mit ein bis drei (manchmal sogar fünf) eingenähten Erbsen verziert, Tritzer für Jungen erhielten eine eingenähte Bohne.

Mit Tritzern verziertes Kinderkäppchen für Mädchen mit eingenähten Erbsen

Mit Tritzern verziertes Kinderkäppchen für Mädchen mit eingenähten Erbsen

Taufkäppchen für einen Jungen, verziert mit Tritzern und je einer eingenähten Bohne Das Bild stammt aus dem Büchlein Die Schwälmer Tracht von der Wiege bis zur Bahre von Erika Decker

Taufkäppchen für einen Jungen, verziert mit Tritzern und je einer eingenähten Bohne
Das Bild stammt aus dem Büchlein Die Schwälmer Tracht von der Wiege bis zur Bahre von Erika Decker

Tritzer aus einem Seidenband, mit einer eingenähten Erbse

Tritzer aus einem Seidenband, mit einer eingenähten Erbse

Tritzer für Erwachsene wurden entweder ohne weiteren Schmuck aufgenäht oder sie wurden mit Pailletten, Bouillondraht und bunten Metallblümchen oder -sternchen besetzt.

Strumpfbänder mit einfachen Tritzern ohne weitere Verzierung

Strumpfbänder mit einfachen Tritzern ohne weitere Verzierung

Strumpfband, mit Tritzern sowie Pailletten, Buillondraht und Metallblümchen verziert

Strumpfband, mit Tritzern sowie Pailletten, Buillondraht und Metallblümchen verziert

Strumpfband mit kleinen und größeren Tritzern und Metallschmuck verziert

Strumpfband mit kleinen und größeren Tritzern und Metallschmuck verziert

Kleine Tritzer wurden aus einem Seidenband gearbeitet, größere Tritzer wurden aus mehreren Seidenbändern zusammengenäht.

Tritzer für ein Mädchen, aus zwei Seidenbändern gefertigt

Tritzer für ein Mädchen, aus zwei Seidenbändern gefertigt

Tritzer, aus zwei Seidenbändern gefertigt

Tritzer, aus zwei Seidenbändern gefertigt

Schürzenbändchen mit einfachen Tritzern und Metallschmuck

Schürzenbändchen mit einfachen Tritzern und Metallschmuck

Paradekissen mit Tritzerverzierung und Initialen

Paradekissen mit Tritzerverzierung und Initialen

Paradekissen aus schwalmtypischem, blau-weiß gewebtem Leinen mit Tritzerverzierung und Initialen

Paradekissen aus schwalmtypischem, blau-weiß gewebtem Leinen mit Tritzerverzierung und Initialen

Paradekissen aus schwalmtypischem, blau-weiß gewebtem Leinen mit Tritzerverzierung und Initialen

Paradekissen aus schwalmtypischem, blau-weiß gewebtem Leinen mit Tritzerverzierung und Initialen

Schwälmer Tracht – Die Röcke (2)

Die Röcke der Schwälmerinnen wurden am unteren Ende mit Bändern eingefasst. Für die Feiertagsröcke der „stolzen“ Schwälmer Tracht gab es ganz verschiedene Variationen. Und es gab eine klare Festlegung in der Reihenfolge der verschiedenen Bandarten. Die Bänder wurden in der Schwalm „Schnur“ genannt.

Da ist zuerst ein Band aus einem gechintzten Stoff zu nennen, der aus England bzw. Indien bezogen wurde. In der Schwalm trug er den Namen „Tamis“, „Dames“ oder auch „Damest“. (Ab ca. 1900 wurden diese Bänder nicht mehr gehandelt, so dass man später auf Samtbänder auswich.) Hierbei handelte es sich um ein einfarbiges, leinenbindiges Baumwollgewebe mit starkem Glanz. Diesen verwendete man in rot, grün, blau (violett) und schwarz – passend zur jeweiligen Trachtengarnitur.

Zur roten Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur grünen Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur grünen Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur blauen Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur blauen Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur schwarzen Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Zur schwarzen Tracht gehöriger, mit Damest eingebördelter 1. Rock

Der unterste Rock war mit diesem Damest ca. 2 cm breit eingefasst. Je nachdem, wieviele Röcke übereinander getragen wurden – junge Frauen mussten durch die Anzahl der Röcke ihr Vermögen offenbaren, ältere Frauen trugen weniger Röcke – waren noch zwei bis drei weitere Röcke auf diese Weise „eingebördelt“.

Darüber wurden ein bis zwei Röcke mit „prahlerischer“ – also bunter – Schnur getragen. Sie waren nur schmal mit dem einfarbigen Damest eingefasst und daran anschließend mit einer bunten Seidenschnur verziert.

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 8 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 8 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 8 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 8 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 4 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 4 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur grünen Tracht gehöriger, mit grünem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur grünen Tracht gehöriger, mit grünem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur blauen Tracht gehöriger, mit blauem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur blauen Tracht gehöriger, mit blauem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Die beiden oberen Bilder zeigen – auch wenn es geringe Farbabweichungen gibt – dass z. B. eine blau-güne Borte sowohl zur einen als auch zur anderen Tracht verwendet wurde. Entscheidend war die Farbe der Damest-Einfassung.
Zur blauen Tracht gehöriger, mit blauem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Zur blauen Tracht gehöriger, mit blauem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur verzierter Rock

Die bunt gewebten Seidenbänder erscheinen in einer breiten Palette verschiedener Musterungen.
Hier kann ich nur ein paar Beispiele zeigen. In einem weiteren Beitrag werde ich später einmal ausführlicher speziell auf diese gewebten Bänder eingehen.

Über den Röcken mit den bunt gewebten Seidenbändern wurden ein bis zwei „einzeln geschlangte“ Röcke getragen. Dazu wurde ein schmales Seidenband zickzackförmig auf eine Streifen Damest oder breites Seidenband genäht.

Zur roten Tracht gehöriger, einfach geschlangter und 6 cm hoher Rockbesatz auf rotem Damest

Zur roten Tracht gehöriger, einfach geschlangter und 6 cm hoher Rockbesatz auf rotem Damest

Zur roten Tracht gehöriger, einfach geschlangter und 6 cm hoher Rockbesatz auf grünem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Zur roten Tracht gehöriger, einfach geschlangter und 6 cm hoher Rockbesatz auf grünem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Über den „einfach geschlangten“ Röcken wurde ein weiterer Rock, der mit einem besonders wertvollen Band – einer goldplattischen Schnur – verziert war, getragen. In diese speziellen Bänder waren gold- oder/und silberfarbene Metallfäden eingewebt.
Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur mit eingewirkten Gold- und Silberfäden verzierter Rock

Zur roten Tracht gehöriger, mit rotem Damest eingefasster und mit einer 6 cm hohen Seidenschnur mit eingewirkten Gold- und Silberfäden verzierter Rock

Über dem Rock mit goldplattischer Schnur wurde ein Rock mit „doppelt geschlangter“ Schnur getragen. Dazu wurden zwei schmale Seidenbänder – meist in verschiedenen Farben – zickzackförmig gelegt und versetzt auf Damest und Seidenschnur aufgenäht.
Zur roten Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf rotem Damest

Zur roten Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf rotem Damest

Zur blauen Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf blauem Seidenband. Der Rock ist mit blauem Damest eingefasst.

Zur blauen Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf blauem Seidenband. Der Rock ist mit blauem Damest eingefasst.

Zur roten Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf rotem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Zur roten Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf rotem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Reiche Frauen hatten noch einen ganz „stolzen“ Rock – den „dreifach geschlangten“ -, der mit drei schmalen Seidenbändern verziert war. Diese wurden zickzackförmig auf Damest oder Seide aufgenäht.
Zur roten Tracht gehöriger, dreifach geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf rotem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Zur roten Tracht gehöriger, dreifach geschlangter und 8 cm hoher Rockbesatz auf rotem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Über diesem Rock wurde dann nochmals ein doppelt geschlangter Rock getragen, bevor es zum obersten Rock kam. Dieser oberste Rock war am prahlerischsten – er hatte ein geschlangtes Band und eine bunte Schnur.
Zur roten Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und mit einem zusätzlichen Seidenband ausgestatteter Rockbesatz auf rotem Damest.

Zur roten Tracht gehöriger, doppelt geschlangter und mit einem zusätzlichen Seidenband ausgestatteter Rockbesatz auf rotem Damest.

Zur roten Tracht gehöriger, fünffach geschlangter und 14 cm hoher Rockbesatz auf rotem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Zur roten Tracht gehöriger, fünffach geschlangter und 14 cm hoher Rockbesatz auf rotem Seidenband. Der Rock ist mit rotem Damest eingefasst.

Der Schlussrock zeigte nur wenige Millimeter Farbe. Es war mit Damest in der zur jeweiligen Tracht gehörigen Farbe bestossen. Das entsprechende Band war am Innensaum des Rockes ca. handbreit/10 cm zu sehen.
Zur roten Tracht gehöriger Schlussrock

Zur roten Tracht gehöriger Schlussrock

Zur grünen Tracht gehöriger Schlussrock

Zur grünen Tracht gehöriger Schlussrock

Zur blauen Tracht gehöriger Schlussrock

Zur blauen Tracht gehöriger Schlussrock

All diese Farben und all diese Pracht inspirierten viele Maler, die Tracht in ihren Bildern festzuhalten. Hier zu sehen ist Carl Bantzer´s (1857 – 1941) „Schwälmer Tanz“, entstanden in 1898.
Das Gemälde ist im Besitz der Philipps Universität, Marburg (Museum für Kunst und Kulturgeschichte Marburg, Biegenstraße 11, D-35032 Marburg) und kann virtuell betrachtet werden.
STR2_23

Schwälmer Tracht – Die Röcke (1)

Zur „stolzen“ Feiertagstracht trugen die Schwälmerinnen viele Röcke übereinander. 10 – 12 Röcke gehörten zu einer Garnitur. Manchmal waren es auch noch mehr.

Schwälmerinnen beim Probtanz, Aufnahme: Dr. Andreas Scheller Nr. 1146 Gustav Mandt Kunstverlag, Lauterbach (Hessen)

Schwälmerinnen beim Probtanz, Aufnahme: Dr. Andreas Scheller Nr. 1146 Gustav Mandt Kunstverlag, Lauterbach (Hessen)

Vor allem die vielen Röcke gaben der Schwälmer Tracht ihr besonderes Gepräge. Damit es möglich war, so viele Röcke übereinander zu tragen, mussten sie weit sein. Und damit es möglich war, das Gewicht so vieler Röcke zu tragen, mussten sie kurz sein.
Das Bild soll einen Eindruck von der Stofffülle vermitteln, die bereits beim Tragen von drei Röcken enorm war.

Das Bild soll einen Eindruck von der Stofffülle vermitteln, die bereits beim Tragen von drei Röcken enorm war.

Im Jahr 1941 führte der Pfarrer und profunde Kenner der Sitten und Gebräuche der Schwälmer und ihrer Tracht, Heinrich Metz (1897 -1973) eine Befragung zur textilen Aussteuer einer durchschnittlich situierten Schwälmer Braut durch. [Quelle: Schwälmer Jahrbuch 2000]

Bezüglich der Röcke fand er heraus:
STR1_tabelle
Reichere Frauen hatten eine weitaus größere, ärmere dagegen eine wesentlich geringere Ausstattung.
Ärmere Mädchen ließen sich auch oft sogenannte „doppelte Röcke“ anfertigen. Darunter versteht man einen Rock, der am unteren Ende mit einem zusätzlichen, ca. 15 cm hohen Streifen mit Borte besetzt war und so einen kompletten zweiten Rock vortäuschen sollte.

Die meisten der Röcke bestanden aus ungeglänztem Beiderwand, der mit Indigo blau
eingefärbt wurde. Beiderwand ist ein leinenbindiges Gewebe, dessen Kettfäden aus Leinen und dessen Schussfäden aus handgesponnener Schafwolle bestanden. Beiderwand wurde in der Schwalm „Berrerwonn“ genannt. Durch die Färbung mit Indigo waren die Soffe nicht farbecht.

Indigogefärbter Beiderwand

Indigogefärbter Beiderwand

Nur der oberste Rock war aus feinerem und damit auch teurerem Gewebe. Hier gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle spricht von feinem, geglänzten schwarzen Leinen für die grüne Garnitur [Decker, S. 56], eine andere Quelle nennt feine geglänzte Beiderwand in schwarz für die grüne und blaue Garnitur und in blau für die rote Garnitur [SJ 1994, S.105]. Eine dritte Quelle spricht von Tuch http://de.wikipedia.org/wiki/Tuch als Stoff für den obersten Rock.

Die nicht-glänzenden Tuchröcke wurden zur Trauertracht und zum Abendmahl getragen, die hochglänzenden zur Festtagstracht. Da die glänzenden Röcke keine Wasserflecken bekommen durften, wurden sie bei Regenwetter nicht getragen. Ebenso wird berichtet, dass die schwarzen, glänzenden Oberröcke nur an Kirmessamstagen und bei Hochzeiten nur bis zum Kaffeetrinken angezogen wurden.

Geglänztes Leinen

Geglänztes Leinen

Beiderwand- und Leinenstoffe wurden geglänzt, indem man sie zuerst durch Leimbrühe zog.
Leimbrühe stellte man aus „Leimleder“ (einem Abfallprodukt der Gerber, auch „Hautleim“ genannt) und Pottasche her. Durch das Eintauchen in diese Leimbrühe wurde beim Stoff eine glänzende Steifheit erzielt. Der Glanz wurde noch durch das Bereiben mit einem Glänzstein gesteigert. Dazu legte man den Stoff auf einen gerillten Glänztisch und berieb ihn unter festem Druck mit einem Glänzstein. Ein Glänzstein bestand aus Holz, an dessen Spitze sich ein eliptisch geformter feinkörniger Achat befand.

Im Winter wurde als unterster Rock ein sogenannter „Beffel“, „Büffel“ oder „Kalmuck“ getragen.
Büffel bedeutet „starr“ oder „schwer“. Als Stoff wurde Kalmuck verwendet, ein dicker, meist in Köperbindung gewebter Stoff, der beidsitig stark aufgerauht wurde.

Für einen Rock benötigte man bis zu 4 Meter Stoff, der stark eingekräuselt wurde. (Um 1900 verarbeitete man noch 5 Stoff-Bahnen á 80 cm Breite, später begnügte man sich mit 4 ½ Bahnen.)
Der Bund wurde in der vorderen Mitte verschlossen (diese Stelle wurde später von der Schürze überdeckt). Links und rechts der vorderen Mitte blieb ein Stück Stoffweite glatt, der Rest wurde in dichte, kleine Falten gelegt. Um eine gleichmäßige Fältelung und einen gleichmäßigen Sitz des Rockes zu erhalten, ging man folgendermaßen vor: Man ermittelte das Taillenmaß der späteren Rockträgerin, an dem sich die Bundweite orientierte. Die Bundweite wurde in 6 Teile eingeteilt. Die Rockweite dagegen in 8 Teile.
Beispiel:
Ein Rock sollte eine Bundweite von 66 cm erhalten.
66 cm : 6 Teile = 11 cm/Teil
Der Rock blieb also auf den ersten 11 cm (1 Teil) glatt, dann folgten 44 cm (4 Teile) Faltenwurf und weitere 11 cm (1 Teil) ohne Falten.
Die vier Teile für den Faltenwurf wurden nochmals halbiert, sodass man dann 8 Teile á 5,5 cm hatte.

Der Rockstoff war 382 cm breit. Für die beiden glatten Teile benötigte man 22 cm, also verblieben noch 360 cm. Diese Weite teilte man durch 8 (= 45 cm) und legte den Stoff so in Falten, dass aus den 45 cm am Ende 5,5 cm wurden.

Würde man diese Unterteilung nicht vornehmen, wäre es viel schwieriger, die Falten des Rockes so gleichmäßig zu verteilen, wie es für den Faltenwurf nötig ist.

Die Falten wurden gelegt und festgesteckt und wenn das richtige Maß erreicht war, wurden sie ca. 2 – 3 cm vom oberen Rand entfernt mit starkem Garn (Hanfzwirn) und Stielstichen auf der Rückseite zusammengenäht – Falte für Falte.

Falte für Falte wurde mittels Stielstichen in Position gehalten

Falte für Falte wurde mittels Stielstichen in Position gehalten

An der oberen Kante wurde von der Vorderseite aus der Stoffstreifen für den Bund rechts auf rechts aufgelegt und angenäht.
Faltenpartie eines Rockes mit angenähtem Bund - Vorderseite

Faltenpartie eines Rockes mit angenähtem Bund – Vorderseite

Er wurde anschließend umgeschlagen und auf der linken Seite etwa in Faltenmitte befestigt.
Dadurch wurden die Falten ein weiteres mal stabilisiert.
Faltenpartie eines Rockes mit angenähtem Bund - Rückseite

Faltenpartie eines Rockes mit angenähtem Bund – Rückseite

Weil Rock über Rock getragen wurde, musste die Bundweite jeden weiteren Rockes 2 – 3 cm größer sein als die des darunter getragenen.
In der Taille liegt Rockbund neben Rockbund.

In der Taille liegt Rockbund neben Rockbund.

Der Rock wurde vorne nur etwa zur Hälfte zugenäht. Der Bund wurde mit Haken und Öse verschlossen.
Verschluss durch Haken und Öse

Verschluss durch Haken und Öse

Für spätere Taillienzuwächse behalf man sich mit kleinen Kettchen und Schnüren zur Überbrückung der fehlenden Weite.
Bunderweiterung mittels Kettchen oder Bändern

Bunderweiterung mittels Kettchen oder Bändern

Die Rocklänge war unterschiedlich. Sie orientierte sich nicht nur an der Größe der Trägerin, sondern auch an dem Platz, den dieser Rock in der Reihenfolge einnahm.

Der unterste Rock sollte so lang (oder kurz) sein, dass unter ihm noch eine Handbreit des Unterhemdes herausschaute. Jeder weitere Rock musste etwas länger zugeschnitten sein (obwohl es später so aussieht, als sei er kürzer.

Nur in wenigen Orten der Schwalm wurden die Röcke so abgelängt, dass alle übereinander getragenen gleichmäßig lang aussahen. Meistens sollten die oberen Röcke ein kleines Stückchen über dem nächstunteren enden, sodass die ganze Pracht der Bänder zu erkennen war.

Damit man später beim Anziehen nicht durcheinander kam, wurden die Röcke nummeriert.

Jeder Rock bekam seinen „Platz“ gut sichtbar eingestickt

Jeder Rock bekam seinen „Platz“ gut sichtbar eingestickt

Am unteren Rand wurde der Rock mit Bändern geschmückt. Die Rockbänder sind ein eigenes Kapitel wert, deshalb werde ich später darüber berichten.

Schwälmer Tracht – Das Geschirr

Das sogenannte „Geschirr“ wurde gebraucht, damit die vielen und schweren Röcke, die zur Festtagstracht übereinander angezogen wurden, Halt fanden und nicht herunterrutschen konnten.
Es wurde über dem knielangen Unterhemd getragen. Hier ist ein Geschirr in einer Aufnahme aus dem Jahr 2004, abgebildet bei Brunhilde Miehe `Der Tracht treu geblieben´ Band 3, zu sehen.
1_Geschirr_Brunhilde_Miehe_dTtg_3
Das Geschirr bestand aus einem dicken Wulst, einem darangenähten flachen Stoffstreifen und Trägern. Zur Herstellung verwendete man feines Leinen.
2_Geschirr
Der Wulst war prall gefüllt
3_Geschirr
mit Materialien, die man zur Hand hatte – Flachsfasern, Schafwolle, Rosshaar oder ähnlichem.
4_Geschirr
Die Träger waren im Rücken gekreuzt, sodass sie nicht von den Schultern rutschen konnten.
5_Geschirr
Die Enden des Wulstes liefen flach aus. Der flache Stoffstreifen war länger als der Wulst.
6_Geschirr
Das Geschirr wurde vor dem Bauch mit Haken und Öse geschlossen.
7_Geschirr
Während die Träger im Rücken relativ dicht neben der Mitte angebracht waren, so wurden sie im Vorderteil weit seitlich angesetzt.
8_Geschirr
Kleine Mädchen mussten kein solches Geschirr tragen. Für sie befestigte man den Wulst an der Weste.
9_Geschirr