Einen Abzweig in einem rechten Winkel oder in einem nahezu rechten Winkel zum Stamm zu arbeiten, ist kein Problem, wie die Spiralen-Übung (1) zeigt. Je spitzer der Winkel zwischen Stamm und Abzweig erscheint, desto schwieriger ist es, diese Stelle gelungen aussehen zu lassen.
Spiralen, die neben einem Stamm angebracht sind, sehen nicht wirklich schön aus,
wie die ersten drei Bilder zeigen.
Wogegen Spiralen oder Abzweige, die aus eine Stamm herauswachsen, gelungen und hübsch wirken.
Es gibt eine Möglichkeit, Abzweige gekonnt zu sticken.
Der letzte Knötchenstich vor Erreichen einer Abzweigung wird etwas breiter gestickt als die übrigen. Will man den Abzweig nach rechts, wird der letzte Stich etwas nach rechts verbreitert.
Nach einem breiteren Stich stickt man in gewohnter Weise weiter.
Will man den Abzweig nach links, wird der letzte Stich vor dem Abzweig etwas nach links verbreitert
um dann in gewohnter Weise weiter zu sticken.
Die breiteren Stiche sehen zunächst etwas unsauber gearbeitet aus. Aber sie helfen, etwas Platz für die Stiche des Abzweiges zu schaffen, der direkt aus dem Stamm hervorwächst..
Als Resultat erhält man perfekt gearbeitete Abzweige von Ästen
und Spiralen.
Die Spirale ist ein beliebtes Musterelement der Schwälmer Weißstickerei. Oft und gern werden sehr ausgeprägte Exemplare verwendet.
Damit man Spiralen ordentlich sticken kann, benötigt man zuallererst eine gute Vorlage. Das unten abgebildete Muster hat eine Originalgröße von ca. 2 cm x 2 cm.
Möglichst exakt wird das Muster auf das Leinen übertragen.
Spiralen werden immer von außen nach innen gestickt – man beginnt am geraden Ende und schreitet bis zum Zentrum Knoten-für-Knoten der Biegung der Linie folgend fort. Spiralen sollten niemals mit zu dünnem Garn gestickt werden. Abhängig von der Beschaffenheit des Leinens ist Vierfachstickgarn Nr. 16 oder Nr. 20 richtig.
Während des Stickens sollte man die Arbeit ständig Stich-für-Stich weiterdrehen,
so dass die Nadel immer im rechten Winkel zur Spirallinie geführt werden kann. Auf diese Weise kann man den Verlauf der Kurve exakt nachvollziehen.
Wird der Faden zu kurz – was bei großen Spiralen durchaus passieren kann -, sticht man knapp
hinter dem letzten Knötchenstich zur Rückseite,
vernäht den Faden unter den rückwärtigen Stichen und befestigt auch den neuen Faden dort.
Man sticht – ein winziges Stückchen zurückgehend – direkt neben dem oder besser noch durch den soeben vernähten Faden aus. So bleibt der Übergang fast unsichtbar.
Den letzten Stich sollte man – abweichend von der Linienführung – etwas weiter nach innen hin setzen.
So kann man die Spirale wunderbar „einkringeln“.
Auch ungewaschen und ungebügelt sieht die Spirale doch schon ganz gut aus!
Zum Abschluss der Arbeiten des letztjährigen Workshops wurden Kordeln benötigt. Sally fand meine althergebrachte Art, diese mit Hilfe eines Stiftes zu drehen, sehr antiquiert
und fragte nach einem Twister. Da ich dieses Werkzeug nicht kannte, brachte sie mir in diesem Jahr eines mit.
Ein Twister ist ein kleines, leichtes und handliches Gerät von ca. 13 cm Länge.
Er besteht aus Haltegriff, Haken zum Einhängen des Garnes und präzise ineinandergreifende Zahnrädern, die beim Betätigen der kleinen Handkurbel den Haken in eine Drehbewegung versetzen,
und das eingehängte Garn drehen.
Wie viel schneller, einfacher und gleichmäßiger als nach der althergebrachten Methode lässt sich eine Kordel doch mit diesem kleinen Gerät herstellen. Es macht riesigen Spaß.
Hat man die gewünschte Drehfestigkeit erreicht, hält man das Ende mit der Hand fest, nimmt den Haken heraus und hängt ihn als Gewicht auf das gedrehte Garn
um die Kordel zusammen drehen zu lassen.
Es macht auch Spaß, Kordeln mit 2, 3 oder noch mehr Farben herzustellen.
Danke, Sally!
In Deutschland kann man den Kordeldreher bei der Fa. CREATIV Horst erwerben.
Geht es Ihnen auch so? Mit wachsendem Alter schwindet die Fähigkeit, Nadeln leicht und einfach einzufädeln. Nicht immer hat man einen Einfädler zur Hand. Hier nun ein kleiner Trick, wie man auch ohne Hilfsmittel erfolgreich sein kann.
Man legt den Faden locker über die Zeigefingerkuppe der linken Hand.
Man legt die Nadel mit dem Öhr über den Faden und drückt sie leicht gegen den Finger.
Man hält die Nadel in dieser Position und bewegt den Finger in Richtung des Fadens hin und her.
Bereits nach den ersten Bewegungen hebt sich der Faden durch das Öhr.
Man bewegt den Finger einige weitere Male, bis die entstehende Schlaufe groß genug ist,
den Faden durch das Öhr zu ziehen.
Man sollte zuerst mit einer Nadel mit großem Öhr und einem dünnen Faden beginnen, um den Ablauf nachvollziehen zu können. Zugegeben – ich benötigte einige Übungen, um zum Erfolg zu gelangen. Jetzt klappt es sogar mit feinen Nadeln und dickerem Garn.
Den Trick verriet mir Brenda während des letzten Workshops, als sie meine Schwierigkeiten beobachtete, eine Nadel ohne Hilfsmittel einzufädeln.
Danke fürs Zeigen, Brenda!
In meinem Beitrag „Leinen: Gewebe aus Flachsfasern“ habe ich dargelegt, warum man für die Schwälmer Weißstickerei nur reines Leinen in geeigneter Verarbeitung verwenden sollte.
Nun übersandte mir eine meiner Kundinnen ein kleines Stückchen Stoff. Sie bekam es von Ihrer Großmutter, die es einst zur Fertigung von Bettlaken gekauft hatte. Meine Kundin hielt den Stoff für Leinen, war sich aber unsicher, ob dieses Gewebe zum Besticken in der Schwälmer Technik geeignet sei und bat mich um Rat.
Ich unternahm mehrere kleine, mir als Laien mögliche, Prüfungen, um festzustellen, ob das Gewebe für die Schwälmer Weißstickerei geeignet ist oder nicht. Diese zeige ich Ihnen hier auf, um Sie in die Lage zu versetzen, selbst einmal Stoffe zu analysieren.
Die Stoffprobe war 10,5 cm breit und (bis zum Fadenauszug) 10 cm lang und hatte an einer Seite eine Webkante, was mir sofort die Einordnung in Kette und Schuß ermöglichte.
Erste optische Beobachtungen:
Der erste optische Eindruck zeigt einen dicht gewebten Stoff, der als solcher für die Weißstickerei geeignet wäre.
Die Ausfransungen am Rand verraten aber auch auf den ersten Blick, dass die Kettfäden wesentlich dünner sind als die Schussfäden.
Das Gewebe zeigt nicht den leichten Glanz, der für Leinengewebe eigentlich typisch ist. Das könnte auf einen Baumwollanteil hindeuten.
Eine Brennprobe macht keinen Sinn, denn beide Naturfasern – sowohl Baumwolle als auch Flachsfasern – verbrennen genauso schnell, mit großer, heller Flamme und einem Geruch nach verbranntem Papier und hinterlassen leichte, feine Flugasche.
Genauere optische Prüfung:
Beim Blick durch den Fadenzähler stellt man leicht die genaue Fadenanzahl pro Zentimeter des Gewebes fest. Hier stellt sich heraus, dass der Stoff nicht nur in Kette und Schuss eine unterschiedliche Fadenanzahl aufweist – das könnte man durch geschicktes Fadenziehen eventuell noch ausgleichen -, sondern auch Differenzen innerhalb der Kettfadenanzahl auftreten. Während auf einem Zentimer 18 Schussfäden verwendet wurden, so sind es stellenweise 20, an anderen Stellen 21, ja sogar 22 Kettfäden.
Ein solcher Grund würde bei den Durchbruchmustern eine unregelmäßige Struktur ergeben; diese kann zwar auch reizvoll sein, gefällt aber nicht jedem.
Praktische Prüfung – Fadenauszug:
Sowohl Längs- als auch Querfäden lassen sich relativ leicht ausziehen.
Man merkt sofort, dass die dünneren Kettfäden sehr viel fester gedreht sind als die dickeren Schussfäden. (Kettfäden müssen haltbar sein, damit sie beim Weben nicht ständig reißen.) Bei dem vorliegenden Gewebe kann man den Kettfaden leicht an einem Stück ausziehen. Dies weist außer auf feste Fadendrehung auch auf lange Faserbündel hin.
Beim Aufdrehen (Ein Gewebefaden wird wischen Daumen und Zeigefinger beider Hände gespannt und langsam entgegen der vorhandenen Drehrichtung aufgedreht. Sobald er sich spaltet, wird er langsam auseinandergezogen. Aus den auseinandergezogenen Fadenenden kann man nun die einzelnen Fasern herauszupfen.) der Fäden merkt man, dass sich die Schussfäden sehr viel leichter in Einzelfasern zerlegen lassen als die Kettfäden. Wenn man sie aber in Einzelfasern zerlegt hat, stellt man fest, dass die einzelne Faser des Schussfadens länger ist als die des Kettfadens. Das deuted darauf hin, dass es sich bei den Schussfäden um Baumwolle handelt. Baumwollfasern sind 10 mm bis 55 mm lang, Flachsfasern dagegen 20 mm bis 40 mm, die Feinheit beider Einzelfasern ist in etwa gleich.
Der Hechelflachs, der zum Verspinnen verwendet wird, besteht, obwohl er stark ausgekämmt wurde, immer noch aus Faserbündeln, die durch Pflanzenleim zusammengehalten werden. Die Faserbündel des Hechelflachses sind jedoch sehr unterschiedlich stark und so entstehen die für Leinengarn typischen Verdickungsstellen. Vergleicht man Kett- und Schußfaden in dieser Hinsicht, stellt man fest, dass der Kettfaden (Bild unten, oberer Faden) diese Unregelmäßigkeiten aufweist, der Schussfaden (Bild unten, unterer Faden) allerdings gleichmäßig dick ist. Dies erkennt man besonders gut, wenn man den jeweiligen Faden gespannt zwischen den Händen hält.
Auch dies weist daruf hin, dass es sich bei Kette und Schuss um unterschiedliche Materialien handelt.
(Ein Mikroskop steht mir nicht zur Verfügung und auch auch eine genaue Materialbestimmung ist ohne Labor nicht möglich.)
Betrachtet man den fertigen Limet-Fadenauszug, stellt man unschwer fest, dass – obwohl fest in einen Rahmen eingespannt – sich besonders die dickeren Schussfäden sehr leicht verschieben.
Praktische Prüfung – Besticken:
Das leichte Verschieben der Fäden macht ein Besticken der Flächen sehr schwer. Nur mit Mühe kann es dennoch gelingen.
Nach der 5-minüten Kochwäsche ist der Stoff eingelaufen; aus 10,5 cm sind 10,2 cm geworden und aus 10 cm sind 9,5 cm – ein normaler Prozentsatz.
Nach dem Trocknen fühlt sich das Gewebe sehr weich an – was wiederum auf einen Baumwollanteil hindeutet.
Fazit:
Zum Besticken mit aufwändiger Schwälmer Weißstickerei würde ich unter Berücksichtigung der oben genannten Gesichtspunkte dieses Gewebe nicht empfehlen.
Wenn Sie also selbst mal ein Gewebe in Händen haben, von dem Sie sich nicht sicher sind, ob es sich zum Besticken in der Schwälmer Technik eignet, machen Sie doch einfach diese kleinen Tests. Diese können wirklich sehr hilfreich sein und vor Frust und Enttäuschung während oder nach der Stickarbeit bewahren.
Als Fachliteratur dienten mir meine früheren Lehrbücher
Kleine Textilkunde
Lisa Adebahr
Verlag Tandwerk und Technik – Dr. Felix Büchner
Hamburg 1964
Von der Faser zum Stoff
Lisa Adebahr-Dörel
Verlag Handwerk und Technik – Dr. Felix Büchner
Hamburg 1964