Die Stickerei des Schwälmer Miederärmels A ist sehr variantenreich. Das verwendete Leinen hat 18/20 Fäden/cm. Das Bild zeigt die Gesamtansicht der Weißstickereiborte in einer Fotomontage.
MA2_0_gesamtBitte beachten Sie, dass das gesamte Muster nur eine Höhe von knapp 14 cm aufweist. Die unten zu sehenden Fotos zeigen starke Vergrößerungen; in der Realität ist die Stickerei sehr fein.

Nun folgen Details der Gestaltung der einzelnen Flächen. Um die einzelnen Motive dem Gesamtbild leicht zuordnen zu können, hilft der Überblick mit der entsprechenden Nummerierung.
MA2_0_Zuordnung1.
Der Kreis hat keine Knötchenstichumrandung. Statt dessen wurden zwei Reihen Kettenstiche nebeneinander gestickt. Der Rand wurde mit 2 kurz-2 lang Stichen umgeben. Die Fläche wurde mit einem Muster gefüllt, das aus Wickestichstangen und Rosenstichen besteht. Es ist leider – auch unter der Lupe – schwer zu erkennen. Es entspricht in etwa dem Muster 450. Ich habe es ausprobiert und werde das Ergebnis im Detail als Flächenfüllmuster 478 in meinem nächsten Beitrag zeigen. Üblicherweise wird dieses Muster als Limetmuster gearbeitet (sowohl längs als auch quer immer abwechselnd 3 Fäden stehen lassen, 1 Faden ziehen). Hier ist es aber als einfaches Durchbruchmuster gestickt, d. h., nur in Längsrichtung wurden abwechseln 3 Fäden stehen gelassen und 1 Faden gezogen. So erklärt sich auch das etwas verwaschene Erscheinungsbild. Allerdings wurden die Wickelstiche wohl über 2 Fäden in der Höhe schräg gelegt und dadurch insgesamt nur 8 Stiche in einer Stange/Reihe gestickt. Auch wurden die Stiche abwechselnd einmal nach rechts und einmal nach links steigend gearbeitet.

Die freie Fläche am Übergang zum nächsten Motiv wurde mit dicht bestickten Knötchenstichspiralen und Punkten aus Bouillonknoten gefüllt.
MA2_12.
Die Tulpe wurde mit geschnürten Messerspitzen umgeben.
Die Innenfläche wurde mit einem lichten Muster (2 Fäden stehen lassen, 2 Fäden ausziehen; dann Grundstich) versehen, in das Quadrate aus 2×2 Rosenstichen schachbrettartig eingestickt wurden.
Dieses Muster trägt den Namen „Viererfensterchen Rosenstich“.
MA2_2Die Fläche rechts der Tulpe ist mit Blättern und und einem Stiel, der zur Sonnenblume führt sowie einer kleinen Tulpe aus Plattstichen und Knötchenstichen bestickt. Auch finden sich wieder ein paar kleine Punkte aus Buillonknoten.

3.
Die Sonnenblume (Kreis) ist nur teilweise mit Schnürlochbögen umgeben, denn die einzelnen Motivflächen des Gesamtmusters sind so dicht gesetzt, dass der Zwischenraum nicht immer ausreichte, um alle Motive komplett mit Randverzierungen zu umgeben.
MA2_3Man muss sich vorstellen, dass nicht alle Stickerinnen über komfortable Musterzeichnungen verfügten. Oft wurden nur die Konturen einfacher Formen auf den Stoff gezeichnet, wie in dem unten gezeigten Beispiel zu sehen. Details der Stickerei wurden erst während der Arbeit festgelegt.
Das erklärt auch, dass die Umrandungsstiche mancher Motive unterschiedlich groß sind.
MA2_4Die Kreisfläche ist gefüllt mit einem lichten Muster, bei dem aber nicht überall ein Grundstichgitter gearbeitet wurde. Von unten rechts baut sich das Muster wie folgt auf: 3 Reihen Grundstiche, 2 Reihen Rosenstiche, 4 Reihen Grundstiche und 2 Reihen Rosenstiche. In die 4 Grundstichreihen wurden dann treppenartig Stopfstiche über 3 Kästchen in der Breite und 1 Kästchen in der Höhe eingestickt.

In die Zwischenraumfläche oben rechts des Kreises wurde ein Schürloch gestickt.

4.
Das Herz hat eine Messerspitzenverzierung am Rand. Die Fläche ist gefüllt mit einem lichten Muster mit Grundstichgitter. In dieses wurde das Rosenstichmuster „8 Rosenstiche im Quadrat um ein freibleibendes Kästchen bei einem Abstand der Quadrate von einer Kästchenreihe“ gestickt (siehe Grundlagen der Schwälmer Weißstickerei, Seiten 62-65).

Es sieht so aus, als wären die Kettenstiche erst nach der Fertigstellung des Flächenfüllmusters gearbeitet worden. Das habe ich selbst auch schon ausprobiert. Durch das nachträglich Sticken erhält man zwar saubere Ränder des Flächenfüllmusters; die Kettenstiche lassen sich aber längst nicht so angenehm sticken, als wenn man es vor dem Fadenauszug tut. Es ist viel schwieriger, sie gleichmäßig lang hinzubekommen.

Das Herzmuster wurde so dicht an den Rand des Stoffzuschnittes gesetzt, dass es später teilweise in der Naht verschwand.

Um die freien Flächen unterhalb des Herzens zu füllen, wurden dichte Knötchenstichspiralen gearbeitet.
MA2_55.
Das Herz in der Mitte des Designs wurde mit einer Doppelreihe von Knötchenstichen umgeben. Es wurden keine Kettenstiche gestickt. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt. Doppelreihige Rosenstichrhomben mit einem freien Kästchen in der Mitte wurden eingestickt. (Eine Außenkante eines Rhombus besteht aus 3 Rosenstichen.)
MA2_66.
Das obere Blatt hat sowohl eine Knötchenstich- als auch eine Kettenstichumrandung. Allerdings sind die Kettenstiche außerhalb der Knötchenlinie gestickt.

Die Innenfläche ist mit dem gleichen lichten Muster gefüllt, welches auch für die Kreisfläche 3 gewählt wurde. Es wurde nicht überall ein Grundstichgitter gearbeitet. Von unten rechts baut sich das Muster wie folgt auf: 2 Reihen Rosenstiche, 4 Reihen Grundstiche und 2 Reihen Rosenstiche; die verbleibende Fläche wurde mit Grundstichen gefüllt. In die 4 Grundstichreihen wurden dann treppenartig Stopfstiche über 3 Kästchen in der Breite und 1 Kästchen in der Höhe eingestickt.

Während dieses Muster in den Kreisflächen 3 links und rechts der Mittelachse in die gleiche Richtung steigend gestickt wurde, so erscheint es in den Blattformen links und rechts der Mittelachse spiegelbildlich, wie man der zu Beginn dieses Beitrages gezeigten Gesamtansicht entnehmen kann.
MA2_7Das gleiche Blatt des zweiten Ärmels hat das Flächenfüllmuster geschickter angeordnet, wie man beim Vergleich von oberem und unterem Bild feststellen kann.
MA2_7a7.
Das unteren Blatt hat ebenfalls sowohl eine Knötchenstich- als auch eine Kettenstichumrandung.
Allerdings sind die Kettenstiche außerhalb der Knötchenlinie gestickt.

Die Innenfläche ist mit mit einem Limetmuster bestickt. Es besteht aus dem sogenannten „Dreiermuster“ – 3er Blöcke von Wickelstichstangen, die schachbrettartig versetzt sind.

Allerdings wurden hier für den Limetgrund nur 2 Fäden stehen gelassen und 1 Faden wurde gezogen. Es wurden Wickelstiche gestickt, die auf der Vorderseite schräg liegen und auf der Rückseite gerade. Die Stangen wurden von unten nach oben und dann zurück von oben nach unten gearbeitet, jedoch ohne die Arbeit zu drehen. Dadurch liegen die Wickelstiche einmal nach rechts und einmal nach links steigend.
MA2_88.
Die nach unten hängende Tulpe oder Glockenblume ist mit Knötchenstichen und innenliegenden Kettenstichen umgeben. Auf drei Seiten ist sie mit geschnürten Messerspitzen verziert. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt. Doppelreihige Rosenstichrhomben mit einem einzelnen Rosenstich in der Mitte wurden eingestickt. Im Gegensatz zu dem unter 5 gezeigten Muster besteht eine Außenkante eines Rhombus aus 4 Rosenstichen. Das Muster ist gut zu erkennen. Es ist nicht mittig angeordnet.
MA2_99.
Die Kreis ist mit einer Doppelreihe von Kettenstichen umgeben. Der äußere Rand wurde teilweise – da, wo der Platz reichte – mit Wimpernstichen verziert. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt. Sich kreuzende Doppelreihen von Rosenstichen mit einem freien Kästchen umgeben von einem einreihigen Rhombus in der Mitte wurden eingestickt. Das Muster ist nicht mittig gesetzt. Für die kleine Fläche ist es zu groß gewählt (für große Flächen wäre es ein sehr ansprechendes Muster).
MA2_10Das gleiche Muster ist auf der gegenüberliegenden Seite der Stickerei besser zu erkennen:
MA2_10a10.
Die kleine, zur Seite liegende Tulpe wurde mit Knötchenstichen und innen liegenden Kettenstichen umgeben und am äußeren Rand – soweit der Platz dafür ausreichte – mit Messerspitzen verziert.
Die Fläche wurde mit einem lichten Muster mit Grundstichgitter bestickt. In das Grundstichgitter wurde ein Rosenstichmuster eingearbeitet. Da es ein großes Muster ist, kann man den genauen Verlauf hier nur erahnen. Es ist ähnlich Muster 4, nur wechseln sich hier „8 Rosenstiche im Quadrat um ein freibleibendes Kästchen bei einem Abstand der Quadrate von einer Kästchenreihe“ mit „Fünferwürfel“ ab – ein ansprechendes Muster, das aber eine viel größere Fläche benötigt, um wirken zu können.
MA2_1111.
Das kleine Herz wurde mit zwei Reihen von Knötchenstichen umgeben. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt. Abwechseln wurde immer eine Reihe Rosenstiche und eine Reihe Grundstiche gestickt.
MA2_1212.
Die große Tuple ist umgeben von Knötchenstichen und außenliegenden Kettenstichen. Der Rand wurde mit dem Muster 2 kurz-2 lang verziert, wobei die Länge der Stiche an den vorhandenen Platz angepasst wurden. Die Fläche wurde mit einem in der Schwalm sehr beliebten und oft gebrauchten Muster bestickt. Es handelt sich um ein einfaches Durchbruchmuster. In diesem Beispiel wurden 2 Fäden stehen gelassen und 1 Faden gezogen. Immer abwechseln wurden 3 Reihen Wickelstiche mit 3 Reihen Mückenstichen gestickt. Allerdings wurden die Wickelstiche auf der Vorderseite schräg über 2 Fäden gestickt und auf der Rückseite gerade. Die Stangen wurden von unten nach oben und dann zurück von oben nach unten gearbeitet, jedoch ohne die Arbeit zu drehen. Dadurch liegen die Wickelstiche einmal nach rechts und einmal nach links steigend.
MA2_1313.
Der Kreis am oberen Rand zwischen Mitte und großer Tulpe ist mit 2 Reihen von Kettenstichen umgeben. Der Rand wurde überall dort, wo der Platz ausreichend war, zusätzlich mit Schürlochbögen verziert. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt.
Abwechselnd wurden 2 Reihen Rosenstiche und 2 Reihen Grundstiche eingestickt.
MA2_1414.
Der Bogen über der Tulpe in der oberen Mitte wurde mit Knötchenstichen umgeben. Am oberen Rand wurden zusätzlich innen liegende Kettenstiche und außenliegende Schnürlochbögen gearbeitet. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt. Ein Zick-Zack-Muster aus Rosenstichen wurde eingestickt – wobei sich einfache und doppelte Reihen abwechseln.
MA2_1515.
Die Tulpe in der Mitte wurde mit Knötchenstichen und außenliegenden Kettenstichen umgeben. An den oberen Ecken und am unteren Rand wurde die Schürlochbogenverzierung des Gesamtmotivs fortgesetzt.
Die Fläche wurde mit einem lichten Muster mit Grundstichgitter gefüllt. Reihen, bei denen sich drei Rosenstiche mit einem freien Kästchen abwechseln, wurde mit einem Abstand von drei freibleibenden Kästchen längs und quer in das Grundstichgitter gestickt.
MA2_1616.
Die Flächen zu beiden Seiten der Mitteltulpe wurden mit Knötchenstichen umgeben und an der Rundung mit innen liegenden Kettenstichen und außenliegenden Schnürlochbögen zusätzlich verziert.
Die Fläche wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt. Je eine Reihe Rosenstiche wechselt sich mit einer Reihe von Grundstichen ab. Wie im oberen Bild zu sehen, wurde das Muster so angeordnet, dass es spiegelbildlich einmal nach rechts und einmal nach links steigt.
MA2_1717.
Als letztes soll das kleine Herz vorgestellt werden. Es ist mit einer doppelten Reihe von Knötchenstichen umgeben. Die Fläche wurde mit einem einfachen Durchbruchmuster gefüllt, wobei 2 Fäden stehen blieben und 1 Faden gezogen wurde. Mückenstiche – ein beliebtes und für sehr kleine Flächen jeder Art gut geeignetes Muster – wurden eingestickt.
MA2_18Ich hoffe, die Analyse dieser überlieferten, ca. 170 Jahre alten Stickerei hat Ihnen gefallen. Haben Sie dazu Fragen oder Wünsche? Dann senden Sie doch einfach eine E-Mail oder wählen den Weg über den Kommentar.

3 Kommentare
  1. Thank for a detailed and informative article about this exquisite blouse. What an inspiration!

  2. Vielen Dank fürs genaue Zeigen und Erklären dieser schönen historischen Sticherei!

    • Hallo Frau Gerber,
      es gibt so viele schöne und interessante historische Schwälmer Stickereien, die ich sehr gern alle auf meiner Website zeigen und erklären würde.
      Danke für die finanzielle Unterstützung!

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