Alte Handwerkskunst – Die Buntstickerin

Wie schon in dem Artikel über Schablonenstecher erwähnt, verwendete man in der Schwalm für die Buntstickerei Pappschablonen als Einlage.
Außerdem benötigte man:

  • einen Stoffrest als Grundstoff – anfangs verwendete man dazu Leinen, später auch festen Baumwollstoff
  • ein Stückchen Seidenstoff in der Hauptfarbe des Teiles, das da entstehen sollte,
  • Seidengarne in den leuchtenden Farben rot, grün, lila und gelb, sowie schwarz und weiß
  • Nähgarn in den entsprechenden Farben
  • Sticknadel mit Spitze
  • manchmal auch zusätzlich:
  • Gold- oder Silberfäden
  • Gold- oder Silber-Bouillon
  • Gold- oder Silberpailetten
  • später auch kleine bunte Metallblümchen und -sternchen.

Seidengarne in verschiedenen leuchtenden Farben

Seidengarn besteht aus 3 x 2 Einzelfäden;gestickt wird mit 2 x 2 Einzelfäden

Seidengarn besteht aus 3 x 2 Einzelfäden;
gestickt wird mit 2 x 2 Einzelfäden

Der Seidenstoff wurde auf den Grundstoff gelegt, darüber kam die Schablone. Sie wurde mit ein paar Stichen durch beide Stofflagen befestigt.

Befestigung der Schablone auf dem Stoff 1Befestigung der Schablone auf dem Stoff 2Die Rückseite

Von der Rückseite sah das dann so aus, wie oben zu sehen.

Übersticken mit Seide - Vorderseite
Übersticken mit Seide - Rückseite

Nach überlieferten Vorlagen wurden die Schablonen überstickt. Dazu setzt man die Stiche dicht bei dicht und führt um die Schablone und durch die beiden Stofflagen, wie die Bilder von Vor- und Rückseite zeigen.

Rahmen für die Buntstickerei 1
Rahmen für die Buntstickerei 2

Damit das leichter zu bewerkstelligen war, hat der Schablonenstecher Ludwig Schmerer seiner Frau Christine, die die Buntstickerei bis zu ihrem Tod vor wenigen Jahren ausführte, einen speziellen, schwenkbaren Rahmen gebaut. So hatte sie beide Hände für die Stickarbeit frei.

Übersticken mit Metallfäden - Vorderseite
Übersticken mit Metallfäden - Rückseite

Als Seidengarn noch sehr kostbar war, verwendete man es nur auf der Vorderseite und benutzte für die Rückseite einen billigeren Faden, mit dem man jeden Stich an den Kanten umfing. So wird heute noch verfahren, wenn man Metallfäden verarbeitet, wie im Bild oben zu sehen. Metallfäden sind zu starr und würden brechen, wenn man sie in zu enge Kurven legt.

Aussticken der Zwischenräume

Kleine verbleibende Zwischenräume wurden mit Plattstichen gefüllt, manchmal auch mit Pailetten und/oder Bouillondraht überdeckt. Abschließend wurden die überstehenden Stoffteile abgeschnitten, die Ränder bearbeitet und die überstickten Schablonen durch weitere Arbeitsschritte ihrem jeweiligen Verwendungszweck zugeführt.

Randverzierung über Mini-Schablonen

Ganz erlesene Stücke, wie dieser sehr alte Kappenboden, wurden zusätzlich am Rand mit winzig kleinen, überstickten Schablonenteilen verziert.

In Form gelegte Seidenbänder

Besondere Trachtenteile, wie das „Brett“, wurden direkt auf in Form gelegte Seidenbänder gestickt.

Fertig besticktes Teil des Brettes

Alte Handwerkskunst – Der Schablonenstecher

Die Schwälmer Tracht hat viele Bestandteile, die durch leuchtende Farben und bestechend präzise ausgeführte Buntstickerei mit Seide ins Auge fallen.
KappenbodenWie ist es möglich, dass diese Stickerei auf Kappenböden, an Kappenschnüren, auf Tanzecken, an Strumpfbändern, auf Schulterpatten der Männerkittel, auf dem „Geschappel“ der Braut und anderem so prächtig wirkt, so präzis ausgeführt wurde und so erhaben erscheint? Der Grund ist eine Papp-Einlage, über die die zarten Seidenfäden gestickt werden.
Schablone für eine Kappen- oder Betzelschnur
Teil einer Kappen- bzw Betzelschnur 2
Teil einer Kappen- bzw Betzelschnur 1Es gibt einen wahrhaft großen Schatz an Mustern mit den unterschiedlichsten Formen. Ich habe in meiner stattlichen Sammlung überlieferten Trachtenzubehörs lange suchen müssen, bis ich eine Pappschablone mit einer passenden Stickerei gefunden habe – dann jedoch gleich zwei, wenn auch sehr alte und schon ein wenig abgenutzte Exemplare – eines in grün gestickt und das andere in rot.

Damit die Stickerei so exakt erfolgen kann, müssen zuerst diese Pappeinlagen äußerst genau geformt sein. Diese Arbeit führt ein Schablonenstecher aus.
Ludwig Schmerer aus Seigertshausen ist der Letzte, der diese Kunst noch beherrscht und der mich gern und ausführlich in die Geheimnisse dieses alten Handwerks eingeführt hat.
Dazu benötigt er zunächst einmal Pappe. Früher verwendete man sogenannte Glanzpappe, einen sehr widerstandsfähigen Karton mit einer besonders glatten Oberfläche. Ludwig Schmerer behilft sich mit einem Trick: Er verwendet dünne, glatte Pappe, die als Verpackungsmaterial diente und bestreicht sie satt mit wasserverdünntem Holzleim. Nach dem Trocknen erhält er ein Produkt, das sich gut für die Schablonenstecherei eignet.
Schablone für ein StrumpfbandVorder- und Rückseite einer Pappschablone von Ludwig Schmerer – gedacht für die Anfertigung eines Strumpfbandes.

Weiterhin benötigt er eine Aale und diverse Stechbeitel in verschiedenen Breiten. Als Arbeitsunterlage dient ein Brett. Früher benutzte man Lindenholzbretter. Hartholzbretter wie Buche und Eiche sind ungeeignet, da an dem harten Holz die Stechwerkzeuge zu schnell stumpf würden.
Nadelholz wie Fichte ist ungeeignet, da feste und weiche Partien im Holz kein gleichmäßiges Ausstechen ermöglichen. So greift Herr Schmerer auf Limba-Holz zurück, das sich in vielen Jahren der Schablonenstecherei bewährt hat.
Unterlagebrett mit Schablone für einen BruststeckerDie Arbeitsunterlage des Herrn Ludwig Schmerer – ein Limbabrett. An den vielen Einkerbungen kann man erkennen, dass auf diesem Brett schon sehr viele Schablonen ausgestochen wurden. Auf dem Brett liegt eine fertige Schablone für einen Bruststecker.

Mittels starker Reißbrettstifte befestigt Herr Schmerer die Pappe auf den Brett. Als Vorlage dienen ihm Musterschablonen, die er sich an Hand von überlieferten Mustern selbst hergestellt hat. Es werden immer wieder die selben Musterschablonen verwendet, damit alle hieran ausgestochenen Schablonen exakt gleich sind.
Mustervorlagen auf Pappe befestigtMit der Aale durchsticht Herr Schmerer die Pappe, um die Musterschablonen exakt und unverrutschbar auf dem Untergrund befestigen befestigen zu können.
Ausstechen mit dem Beitel 1Mit dem Stechbeitel sticht er nun unter sanftem Druck senkrecht an den Musterschablonen nach unten, bis die Grundpappe durchstochen ist.
Ausstechen mit dem Beitel 2Der nächste Stich wird direkt daneben gesetzt. So wird Stückchen für Stückchen die komlpette Musterschablone umstochen. Für Spitzen und Rundungen verwendet er besonders schmale Geräte, für gerade Strecken etwas breitere.
gestochene Linien am Rand des Musters entlangBesonders bei größeren Schablonen muss man aufpassen, dass man genügend Verbindungsstege stehen lässt, damit die Schablonen nicht in Einzelteile zerfallen. Die Stege dürfen aber auch nicht zu breit sein, damit man später beim Sticken keine Probleme bekommt.

Tischdecke für alle Jahreszeiten – Juni: Mohnblüte

Im Juni beginnt auf den Feldern rund um Meißner-Germerode der Schlafmohn zu blühen. Der Besuch der Mohnfelder hat mich dazu inspiriert, die Form einer Mohnblüte zu abstrahieren und als Design für die Durchbruchstickerei tauglich zu machen.
Mohnblume | poppy flower
2014-06-21_pdf
Die Figur hat im Original einen Durchmesser von 12,4 cm. (Man könnte sie auch ein wenig verkleinert sticken, besonders dann, wenn man feineres Leinen verwendet.)

Um fadengerades Aufbügeln der Kontur zu erzielen, werden Längs- und Querachse auf dem Leinen mit kurzen Vorstichen markiert.
Knötchenstiche | Coral Knot stitches
Auf dem 13,5-fädigen Weddigen Leinen werden mit Vierfachstickgarn Nr. 16 zuerst Knötchenstiche über alle Linien außer denen des Mittelteiles gestickt.
Kettenstiche Schlingstiche und Buillon-Knoten
Entlang aller Knötchenstichelinien nach innen wird je eine Reihe Kettenstiche mit Vierfachstickgarn Nr. 30, gearbeitet. Mit Vierfachstickgarn Nr. 20 wird eine weitere Reihe Kettenstiche um die äußeren Knötchenstiche gestickt. Diese Kettenstiche werden unter Verwendung von Vierfachstickgarn Nr. 20 mit sehr dichten Schlingstichen überdeckt.
Fadenauszug - withdrawing threads
Mit Vierfachstickgarn Nr. 16 werden die Linien der Fläche im Zentrum mit Spannstichen überdeckt und mit einer Webstichspinne ausgefüllt. Der Ring drum herum wird mit Buillonknoten (Frühe Schwälmer Weißstickerei Seiten 61 und 65 ) mit 2 Wicklungen unter Verwendung von Vierfachstickgarn Nr. 16 gefüllt. Die größeren Flächen bekommen einen Limetfadenauszug (3 Fäden stehen lassen, einen Faden ausziehen) und werden mit Rosenstichen (Grundlagen der Schwälmer Weißstickerei, Seiten 50 – 52) unter Verwendung von ierfachstickgarn Nr. 25 gefüllt. In den kleineren Flächen werden längs und quer abwechselnd 2 Fäden stehen gelassen und 1 Faden ausgezogen. Die Fläche wird mit „Grundstich – verkehrt“ ( Mustertücher `Lichte Muster´, Seite 62) bestickt.
fertig gestickte Blüte | finished_embroidered design
Nach der Fertigstellung der Stickerei wird das Teil gewaschen, gestärkt und gebügelt. Dann wird die Mohnblüte ausgeschnitten. Solche ausgeschnittenen Teile kann man bei Bedarf jederzeit schnell und einfach waschen und bügeln, man darf sie aber nie schleudern!
fertige Mohnblüte | finished poppy flower
Mit mehreren solcher Mohnblüten kann man einen hübschen Kranz gestalten.

Schwälmer Randabschluss – Die Bogenborte (5)

Vorangegangener Artikel: Schwälmer Randabschluss – Die Bogenborte (4)

Anmerkung: Als ich diese Bogenborte gestickt habe, habe ich nicht bedacht, Bilder von den jetzt hier gezeigten Arbeitsschritten aufzunehmen. Daher musste ich nochmal von vorn beginnen. Da die Musterfüllungen der Flächen in diesem Fall von untergeordneter Bedeutung sind, habe ich aus Zeitgründen darauf verzichtet.

Um die gegenüberliegende Seite gegengleich zu arbeiten, zieht man kurz vor dem ersten Bogen einen Längsfaden aus dem Gewebe in der Länge, in der man den Abstand der Bogenborten haben möchte.
Von dort aus nimmt man den Auszug der horizontalen Fäden für den Erbslochhohlsaum vor.
Fadenauszug 1 | thread withdrawing 1
Zunächst arbeitet man wieder Kästchenstiche zwischen die äußeren beiden Linien, dann beginnt man an der inneren Linie mit den Bögen.
Kästchenstiche 1 | Four-Sided stitches 1
Sind alle Bögen und der Erbslochhohlsaum fertig gestellt, schneidet man den Stoffüberstand an den Schmalseiten auf die gewünschte Länge zurück. (In meinem Beispiel habe ich einen 3 cm breiten Saum mit einem 1 cm breiten Einschlag gewählt, also benötige ich 7 am Stoffüberstand.) Diese Länge ist auch abhängig von der Randbefestigung, die man wählt.
Befestigt man den Rand mit einfachen Hohlsaumstichen, beginnt man mit dem Messen an der vorhandenen Fadenrinne.
Fadenauszug für Hohlsaumstich | thread withdrawing for Antique Hem stitch
Will man einen Randabschluss aus Kästchenstichen, lässt man von der vorhandenen Fadenrinne nach außen hin 4 Fäden stehen und zieht man einen weiteren Faden aus.
Fadenauszug für Kästchenstiche | therad withdrawing for Four-Sided stitches
Zwischen beide Fadenrinnen arbeitet man eine Reihe Kästchenstiche und beginnt mit dem Messen des Stoffüberstandes an der jetzt äußeren Fadenrinne.
1 Reihe Kästchenstiche | 1 row of Four-Sided stitches
Will man auch an den Schmalseiten einen Erbslochhohlsaum als Randabschluss, zieht man weitere Fäden aus (6 Fäden stehen lassen, 1 ausziehen, 4 stehen lassen und 1 ausziehen) , arbeitet den Erbslochhohlsaum und beginnt mit dem Abmessen des Stoffüberstandes an der nun äußeren Fadenrinne.
Erbslochhohlsaum | Peahole hem
Die andere Schmalseite arbeitet man gegengleich.
fertiges Band | finished band
Der Saum wird befestigt (Grundlagen der Schwälmer Weißstickerei, Seiten 79-84). Die übriggebliebenen Fadenbündel in den Ecken überstickt man mit Stopfstichen (Grundlagen der Schwälmer Weißstickerei, Seiten 85/86).

In einem weiteren Artikel zeige ich noch Möglichkeiten auf, wie man die Bogenborte um die Ecke herumführen kann.

Zarter Mohn und edles Leinen

Seit einigen Jahren baut ein Landwirt auf Feldern in der Umgebung von Meißner-Germerode Schlafmohn an. Der Zweckverband Naturpark Meißner-Kaufunger Wald machte die Mohnblüte überregional bekannt.
Wenn die Felder im Juni/Juli in voller Blüte stehen, geraten sie zu einer außergewöhnlichen Attraktion.Mohnblüte Germerode | poppy 1
Die leuchtende Blütenpracht, die filigranen Staubgefäße, die hauchzarten Blütenblätter, die prallen Knospen und die markanten Samenkapseln bieten ein imposantes Bild und erfreuen Auge, Herz und Gemüt ganzer Scharen von Besuchern.Mohnblüte Germerode | poppy 2
Eingebettet in unsere herrliche Mittelgebirgslandschaft mit gut ausgestatteten Wanderwegen und herrlichen Panoramablicken erstrahlen die Felder in kräftigem Rosa.Mohnblüte Germerode | poppy 3
Speziell angelegte und gut markierte Pfade quer durch das Blütenmeer lassen eine hautnahe Berührung zu und ermöglichen ein perfektes Eintauchen in dieses einmalige Naturerlebnis:
Hummeln, Bienen und Kleininsekten brummen und summen von Blüte zu Blüte.Mohnblüte Germerode | poppy 4
Mal wird das Augenmerk gelenkt auf die sich gerade öffnen wollende Blüte,Mohnblüte Germerode | poppy 5
mal kann man staunend in die weit geöffnete Innenwelt der Blüten blicken.Mohnblüte Germerode | poppy 6
Mal stehen die wuchtigen Samenkapseln im Vordergrund und dann wieder sieht man die Einheit der ganzen Pflanze.Mohnblüte Germerode | poppy 7Die Farbenpracht ist einzigartig. Die blühenden Mohnpflanzen in all ihren Facetten zu sehen, ist ein tiefgreifendes Erlebnis.Mohnblüte Germerode | poppy 8
Schon seit Jahren statte ich der malerischen Umgebung Germerodes mit dem Meißner im Hintergrund während der Blütezeit des Schafmohns Besuche ab, um dieses Schauspiel zu genießen.
Im letzten Jahr hat mich der einzigartige Ausflug dazu inspiriert, die Formen aufzugreifen und als Konturen für Weißstickereimuster zu verwenden.Mohnblüte Germerode | poppy 9
Wäre es nicht toll, zu gepflegter Tischkultur zurückzufinden und die Mohntorte auf einem glatt gebügeltem weißen Leinentischtuch mit Mohnmotiven zu präsentieren? Der Genuss wäre ein doppelter!

Mein Ehrgeiz war erwacht. Nur: Mohnmotive in Stickerei umzusetzen, ist nicht ganz einfach. Es gibt zwar ein paar legendäre, farbige Kreuzstichentwürfe – ich denke da besonders an „The Secret Garden of Cross Stitch“ von Thea Gouverneur – , aber Mohnmotive in der Weißstickerei, speziell in der Art der Schwälmer Weißstickerei, waren mir nicht bekannt. Fortan hielt ich die Augen offen und fand in Hardanger-Stickerei ausgeführte Motive, die ich als Mohnkapseln ansehe. Und es gibt wenige andere Weißstickereien und weisse Handarbeiten, die Mohn darstellen könnten.

Ich übermittelte verschiedenen Designerinnen meine Vorstellungen und bat sie um Mithilfe. Und tatsächlich erhielt ich wunderschöne, weiss stickbare Muster, die ich inzwischen umgesetzt habe oder dabei bin, umzusetzen. Eins ist nicht in der Schwälmer Technik gearbeitet, wirkt aber dennoch sehr ausdrucksvoll, wie ich finde. Ein anderes, in Schwälmer Technik gesticktes, hat eine prächtige Wirkung.Raum Sommerfrische | area summer resort
Die künstlerisch hochwertig gestalteten Entwürfe und die fertigen Stücke sind in der „Sommerfrische“ meiner Ausstellung edel & WEISS zu bewundern. Natürlich sind die „mohnbestickten“ Handarbeiten als Ausstellungsgegenstände für einen ganzen Raum zu wenige, sodass auch noch viele andere Motive dort zu sehen sind. Zur Unterstreichung des Themas aber habe ich eine Wand des Raumes farbig gestaltet.

Seien Sie gespannt!