Historische Schwälmer Miederärmel-Stickerei (D)

Augenfällig ist die Stickerei des nach der Fertigstellung blau eingefärbten Schwälmer Mieders (D).
Das Bild zeigt die gesamte Borte in einer Fotomontage.
1_16-2017Es wurde 23-fädiges Leinen verwendet – die Stickerei ist also sehr fein. Die Borte ist 18 cm hoch, also ganz besonders hoch für eine Miederärmel-Stickerei.
2_16-2017Initialen und kleine Kreuzstichornamente wurden gleich zweimal – ober- und unterhalb der Weißstickereiborte – angebracht. Als Füllmuster für die Motivflächen wurden ausschließlich lichte Muster gewählt.
3_16-2017Knötchenstiche wurden sparsam eingesetzt. Nur Spiralen und einige Stiele wurden mit Knötchenstichen gestaltet. Und nur drei Formen in der oberen Mitte der Borte wurden mit Knötchenstichen umrandet – das Mittelmotiv weist dann aber gleich zwei Knötchenstichlinien auf; dafür fehlt eine Kettenstichumrandung. Stiele aus Kettenstichen sind deutlich sichtbar. Die gerundeten Blätter wurden mit Schlingstichen gearbeitet.

Wenn man das Gesamtmuster näher betrachtet, wirkt es etwas unbeholfen und linkisch.
4_16-2017Das Motiv in der oberen Mitte wurde mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter gefüllt.
Rosenstiche wurden zickzackförmig, aber nicht mittig, angeordnet.
5_16-2017Die Kreismotive links und rechts der oberen Mitte sind keine wirklichen Kreise. Es fällt auf, dass die dicken Stiele mit zwei Reihen von Knötchenstichen nachempfunden wurden und dass diese Linien in die Umrandung des Motivs übergehen. (Normalerweise werden Motivflächen separat umrandet und die Stiele an der Umrandung angesetzt.) Eine zusätzliche Reihe von Kettenstichen innerhalb der Knötchenstiche ist nicht vorhanden. Das Motiv wurde mit geschnürten Messerspitzen umgeben und mit einem lichten Rosenstichmuster ohne Grundstichgitter gefüllt.
6_16-2017Oben links und oben rechts findet man ein Muster, das wohl eine Tulpe darstellt. Die Darstellung ist etwas naiv. Die Fläche wurde mit einer Reihe von Kettenstichen umrandet und mit geschnürten Messerspitzen oder geschnürten Bögen umgeben. Das Motiv wurde mit einem lichten Muster gefüllt, wobei sich Teile von Grundstichgittern mit Rosenstich -Musterung und Rosenstichmuster ohne Grundstichgitter abwechseln. Die Zickzacklinien der Rosenstiche wurden im Grundstichgitter gearbeitet.
7_16-2017An den Seiten des Mittelteiles der Borte findet sich eine Musterkombination, die einem Kleeblatt ähnelt – ein Mittelkreis verbindet vier ähnliche Blattformen. Der Mittelkreis ist mit einer Reihe von Kettenstichen und geschnürten Bögen umgeben. Er ist mit einem lichten Rosenstichmuster ohne Grundstichgitter gefüllt. Drei der umgebenden „Blätter“ sind umrandet mit je einer Reihe von Kettenstichen und geschnürten Bögen, während das vierte „Blatt“ mit zwei Reihen von Kettenstichen begrenzt wird. Gegenüberliegende Formen wurden mit den gleichen Mustern gefüllt.
Für das lichte Muster mit den Quadraten wurden Rosenstiche im Grundstichgitter gestickt, während für das lichte Muster, das Rhomben zeigt, Rosenstiche ohne Grundstichgitter gestickt wurden.

Etwas seltsam ist die Anordnung der Spiralen. Hier scheinen sie etwas planlos platziert worden zu sein. Die Spiralenanordnung im gleichen Musterteil auf der gegenüberliegenden Seite der Borte wirkt gezielter.
8_16-2017Zwischen den beiden „Kleeblättern“ findet man eine Zusammenstellung von vier Kreisen mit einer kleinen Tulpe im Zwischenraum.
9_16-2017Die Kreise sind mit je einer Reihe von Kettenstichen und Schnürlochbögen umgeben. Die Tulpe wurde mit zwei Reihen von Kettenstichen eingefasst. Die unteren Kreise wurden mit einem lichten Rosenstichmuster ohne Grundstichgitter bestickt, während die beiden oberen Kreise mit einem lichten Rosenstichmuster mit Grundstichgitter gearbeitet wurden. Obwohl die Tulpe in der Mitte relativ klein ist, erhielt sie ein Muster, bei dem sich Reihen von Grundstichen und Reihen von Rosenstichen abwechseln.
10_16-2017In der unteren Mitte der Borte befindet sich ein Herz, flankiert von großen Blättern. Herzen, die auf dem Kopf stehen, sind oberhalb der Blätter platziert. Alle Herzen wurden mit je einer Reihe von Kettenstichen und Schnürlochbögen umrandet, während die Blätter mit je zwei Reihen von Kettenstichen umgeben wurden. Die Füllmuster in den auf dem Kopf stehenden Herzen sind ohne Grundstichgitter gestickt – Rosenstiche wurden zur Musterung eingesetzt. Das Herz in der Mitte weist eine Kombination von Rosenstichreihen und Grundstichreihen auf. Die Blätter wurden zunächst mit einem Grundstichgitter gefüllt, in das eine Rosenstichmusterung eingearbeitet wurde.
Ausgeprägte Spiralen wurden in die Zwischenräume gestickt.
11_16_2017Die unten auf beiden Seiten der Borte verbleibenden Tulpenmotive sind mit je einer Reihe von Kettenstichen umgeben und, wo der Platz dazu ausreichend war – auch mit Schnürlochbögen. Die Flächen wurden mit einem lichten Rosenstichmuster mit Grundstichgitter gefüllt.

Wenn man nun noch einmal zu der oben zu sehenden Fotomontage blickt, ist auffällig, wie unterschiedlich ordentlich die Stickerei ausgeführt wurde. In einigen Bereichen auf der linken Seite sieht die Arbeit ordentlicher und ausgewogener aus, in anderen Bereichen wurde auf der rechten Seite „schöner“ gestickt. Leider habe ich keine Jahreszahl gefunden. Ich schätze jedoch, dass das Stück um 1850 herum – vielleicht auch etwas früher – entstanden ist. Gearbeitet auf solch feinem Leinen ( 23-fädig!) ohne die heutigen Möglichkeiten wie elektrisches Licht, Brille oder Lupe nutzen zu können, ohne Zirkel und Bügelmusterstift, und ohne handlichen Stickrahmen ist es ein Kunstwerk, das den Charme überlieferter Handstickerei ausstrahlt.

Wenn man die Einzelheiten dieser Stickerei genau analysiert, kann man eine Menge daraus lernen.

Schwälmer Mieder (3)

Neben den weißen Schwälmer Miedern gehörten zur stolzen Schwälmer Tracht auch blaue Mieder. Die blauen Mieder wurden über einfachen weißen Miedern getragen. Sie wurden zu besonders festlichen Anlässen angezogen. So trugen zum Beispiel Bräute, Brautjungfern und Brettmädchen diese zusätzlichen Mieder.
Die Mieder wurden fein in Weiß ausgestickt und nach der Fertigstellung blau eingefärbt.
1_SM_3_blauDas Schnittmuster unterschied sich nur wenig von dem der weißen Mieder. Die Ärmel der blauen Mieder waren geringfügig kürzer
2_SM_3_blauund im mittleren Bereich etwas breiter zugeschnitten als die der weißen Mieder.
3_SM_3_blauDurch den im mittleren Bereich etwas breiteren Zuschnitt stand der Umschlag des Ärmels etwas weiter vom Arm ab
4_SM_3_blauund gab einen kleinen Blick auf das darunter getragene weiße Mieder frei.
5_SM_3_blauDer Ausschnitt eines Bildes des Malers Emil Beithan zeigt die Tracht einer Schwälmer Braut.
Darauf kann man neben all den anderen Trachtenteilen sowohl das blaue als auch das weiße Mieder erkennen.
6_SM_3_blauUm das Tragen der Mieder komfortabler zu machen, wurden manchmal weiße Stoffstreifen an der Innenseite der Umschlagkanten angesetzt. Diese täuschten ein komplettes weißes Mieder vor.
7_SM_3_blauIm Gegensatz zu den weißen Miedern war die Stickerei der blauen Mieder nicht abgefüttert, wie ein Blick auf die Rückseite einer sehr alten, blauen Miederärmelstickerei zeigt.
8_SM_3_blauDer untere Rand des Ärmels war schmal gesäumt und mit einer Klöppelspitze verziert. Im Gegensatz zu den weißen Miedern arbeitete man keine Nadelspitze, sondern verwendete feine Klöppelspitze als Dekoration. (Wie Sie sicherlich bemerkt haben, zeige ich in diesem Beitrag eine Reihe unterschiedlicher blauer Mieder. An einem fehlt die Klöppelspitze. Dass Klöppelspitze früher einmal daran war, sieht man an feinen Überresten und den feinen Stichen, mit denen sie befestigt war. In dem Bild hier ist dies nicht zu erkennen.)
9_SM_3_blauWährend die weißen Mieder oberhalb der Stickerei Hohlsäume zeigten, wurde die Stickerei der blauen Mieder durch Namenskürzel und kleine Ornamente in schwarzer Kreuzstichstickerei abgegrenzt, wie hier A N G R D I (=Annegret / Anna Margarethe ….). Oft wurden diese Namenskürzel zweimal, nämlich oberhalb und unterhalb der Stickereiborte, angebracht. Bei besonders breiten Stickereiborten wurden die unteren Namenskürzel vom Ärmelumschlag verdeckt.
10_SM_3_blauNach der Fertigstellung wurden die Mieder dunkelblau eingefärbt. Bevor Indanthren (waschechter Farbstoff aus Indigo und Anthrazen) auf den Markt kam, geschah dies mit Indigo. Über diesen speziellen Vorgang werde ich später gesondert berichten.
Die Farbe war nicht sehr haltbar. Sobald sie mit Wasser in Berührung kam, löste sie sich. Die Mieder wurden kräftig gestärkt, um die Farbe vor Abrieb und Abtragen zu schützen.

Historische Schwälmer Miederärmel-Stickerei (C)

Die traditionelle Stickerei des Schwälmer Mieders (C) ist nicht so aufwändig wie die Borten des Schwälmer Mieders (A) und des Schwälmer Mieders (B).
Das verwendete Leinen ist 21–24-fädig. Das Bild zeigt die komplette Stickerei in einer Fotomontage.
mieder_c_1Die Fläche zwischen Nadelspitze und Stopfhohlsaum ist 7 cm breit. Sie ist nicht vollständig mit Weißstickerei ausgefüllt.
mieder_c_2Für den Stopfhohlsaum wurde ein 7-stufiges Zick-Zack-Muster – auch A-Muster genannt – gewählt. Nähere Informationen über Stopfhohlsäume – die verschiedenen Arten und die unterschiedlichen Arbeitsweisen – finden sich in meinem Buch Randabschlüsse.
mieder_c_3Den Abschluss des Ärmelbündchens bildet Nadelspitze, die aus drei Reihen einfacher Nadelspitzenbögen mit Pyramidenzäckchen besteht und durch verbundene Pikots begrenzt wird.

Zwischen Stopfhohlsaum und Nadelspitze blieb ein Leinenstreifen unbestickt. Daran anschließend wurde eine Borte mit Schwälmer Weißstickerei gefertigt. Bei genauer Betrachtung wird man die vielen Spiralen wahrnehmen, die die Räume zwischen den Motiven füllen.
mieder_c_4Die Tulpe wurde mit dem Muster 2 kurz-2 lang umgeben.
Die Fläche wurde mit einem lichten Muster mit Grundstichgitter gefüllt. In das Gitter wurde ein Stopfstichmuster eingestickt.
mieder_c_5Der Kreis wurde mit geschnürten Messerspitzen aus umgeben. Die Fläche wurde mit einem lichten Muster mit Grundstichgitter gefüllt. In das Gitter wurde ein Sternmotiv eingestopft. Es fällt auf, dass dazu sehr dickes Garn verwendet wurde und die Kästchen des Grundstichgitters nicht sehr dicht mit Stichen ausgefüllt wurden.

Das Sternenmotiv ist auch geeignet, eine weitere Stickerei zum Schmücken des Weihnachtsbaumes anzufertigen.
mieder_c_6Das Herz ist mit Schnürlochbögen umgeben. Die Fläche wurde mit einem Limetmuster aus Wickelstichen gefüllt. Es fällt auf, dass ausgerechnet das Mittelmotiv nicht spiegelbildlich bestickt wurde, während die beiden kleinen Blätter unterhalb spiegelbildlich angeordnete Muster bekamen. Sie sind gefüllt mit einem lichten Muster ohne Grundstichgitter. Rosenstiche wurden in die Flächen gearbeitet. Die Räume zwischen den Motiven sind dicht bestickt.

Historische Schwälmer Miederärmel-Stickerei (B)

Die Muster des Schwälmer Miederärmels B sind sehr variantenreich. Das verwendete Leinen hat 21/24 Fäden/cm. Das Bild zeigt die Gesamtansicht der Stickerei in einer Fotomontage.
MiW2_1Bitte beachten Sie, dass das gesamte Muster (vom Stopfhohlsaum bis zur Nadelspitze) nur ca 9,5 cm hoch ist. Die unten zu sehenden Fotos zeigen starke Vergrößerungen; in der Realität ist die Stickerei sehr fein.
MiW2_2Ein 7-stufiger, gespiegelter Stopfhohlsaum ziert die eine Seite der Weißstickereiborte. Mehr Informationen über Stopfhohlsäume – die verschiedenen Arten und die unterschiedlichen Arbeitsweisen – finden sich in meinem Buch Randabschlüsse.
MiW2_3Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Weißstickereiborte mit aufwändiger Nadelspitze begrenzt.

Dazwischen ist Weißstickerei vom Feinsten zu sehen. Bitte beachten Sie, dass zwischen den großen Motiven beinahe kein Stückchen Stoff unbearbeitet blieb. Und bitte vergleichen Sie die hier zu sehenden Kettenstiche mit denen des Schwälmer Miederärmels A.

Und nun sollen die Bilder für sich sprechen; genießen Sie eine intensive und genaue Betrachtung!
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Schwälmer Mieder (2)

Die Bündchen der Schwälmer Miederärmel waren unterschiedlich und vielfältig gestaltet. Den unteren Abschluss (in der Sicht auf den nicht aufgefalteten Ärmel) bildete immer eine mehr
SM2_1oder weniger ausgeprägte Nadelspitze.
SM2_2Am oberen Abschluss des Bündchens wurde entweder ein Erbslochhohlsaum,
SM2_3ein Stopfhohlsaum
SM2_4oder ein Stopfhohlsaum in Verbindung mit Erbslochhohlsaum gearbeitet.
SM2_5Dazwischen lag eine mehr oder weniger breite Fläche, die ganz
SM2_6oder auch nur teilweise mit Weißstickerei ausgefüllt wurde.
SM2_7Die ausladenste, mir zur Verfügung stehende Miederärmelverzierung ist 22 cm weit, wobei die Weißstickereiborte allein eine Weite von 14 cm aufweist. Die Weite der Verzierungen der anderen Miederärmel bewegt sich zwischen 10 cm und 20 cm. Nur die Verzierungen der Kindermieder waren schmaler.

Die Weißstickereiborten der Schwälmer Mieder waren immer unterfüttert. Das konnte auf zwei verschiedene Arten geschehen:

1. Der Ärmel wurde gleich so lang zugeschnitten, dass ein breiter Saum und eine Nahtzugabe bereits enthalten waren.
SM2_8Dabei hatte man das Problem, dass sich der Schnitt nach unten hin verjüngte und daher beim Zurückschlagen nicht die gesamte Breite der Stickerei abdecken konnte.
SM2_92. Der Ärmel wurde nur mit 2 – 3 cm Nahtzugabe an der unteren Kante zugeschnitten. Ein zusätzlicher Stoffstreifen in der Breite des Ärmels wurde dann an der Nahtzugabe angesetzt, um damit sie Fläche zwischen Nadelspitze und Hohlsaumrand abzufüttern.
SM2_10Man begann mit einem Fadenauszug am oberen und am unteren Rand der Stickereiborte. Zwischen diesen Linien wurde das gewünschte Muster gestickt. Manchmal – wie im unteren Beispiel zu sehen – wurden auch noch weitere Fadenauszüge vorgenommen, um Schlängchen zwischen die Fadenrinnen zu sticken. (Weitere Schwalmtypische Börtchen und Zierstiche kann man in meiner Publikation Schlängchen & Co finden.) Die Fadenrinnen wurden mit Steppstichen überdeckt.
SM2-11Dann wurde der Hohlsaum gearbeitet. Meist erstreckte sich der Hohlsaum über die gesamte Breite des Ärmels,
SM2-12nur in wenigen Fällen wurde er schon kurz vor Erreichen des Randes beendet.
SM2_13Am unteren Ende des Ärmels wurde die Nahtzugabe dicht entlang der Stickerei nach hinten umgeschlagen und mit einer Reihe von Steppstichen entlang der anfangs gebildeten Fadenrinne am Platz gehalten.
SM2_14An die kurze Nahtzugabe wurde der Streifen angesetzt. Das obere Ende des Streifens oder das obere Ende der langen Nahtzugabe wurden knapp nach innen eingeschlagen und dann mit Hohlsaumstichen an der unteren Kante des Hohlsaumes befestigt.
SM2_15An der unteren Kante des Ärmels wurde nun Nadelspitze gearbeitet. Meist verlief sie nicht über die gesamte Breite des Ärmels, sondern begann und endete ca. 1 cm vor Erreichen der Seiten.
SM2_16Breitere Nadelspitzen verjüngten sich nach unten hin.
SM2_17Die Ärmelnaht wurde geschlossen. Wenn das Futter nicht bis zur Naht reichte, wurde es kanpp eingeschlagen und mit feinen, überwendlichen Stichen befestigt.
SM2_18Der Ärmel wurde so gewendet, dass die Stickerei nach innen zeigte
SM2_19und dann am Armausschnitt eingesetzt.
SM2_20Hochgeschlagen bis fast zur Schulter entfaltete sich die feine Zierde in ihrer ganzen Pracht.
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