Die Flächenfüllmuster der Paradekissenborte (B)

Viele der in der Paradekissenborte (B) verwendeten Elemente, entstammen der frühen Schwälmer Weißstickerei. So auch einige Flächenfüllmuster, die aber oft auch mit Durchbruchmustern kombiniert wurden.

Für zwei dieser Durchbruchmuster sind gesonderte Beiträge vorgesehen.

Flächenfüllmuster Nr. 563
Flächenfüllmuster Nr. 564

Schwälmer Paradekissenborte (B)

Eins der im vorangegangenen Beitrag gezeigten Kissenmuster ist bei meinen Bloglesern auf großes Interesse gestoßen. Daher zeige ich diese Stickerei nun im Detail. Es geht um ein ganz besonderes und selten zu findendes Schwälmer Bortenmuster. Es wurde auf ein Paradekissen gestickt. Das Kissen ist ca. 200 Jahre alt. Es misst 45 cm x 82 cm. Die Borte nimmt mit 24 cm x 80 cm mehr als die Hälfte der Kissenplatte ein.

Es handelt sich im Wesentlichen um frühe Schwälmer Weißstickerei.
Knötchenstiche sind kaum zu finden. Aber neben aufliegenden Flächenfüllmustern sind auch eine ganze Reihe von Durchbruchmustern vorhanden.

Neben Herz, Tulpen und Sonnenblume finden sich viele andere Blütenformen, Granatäpfel und Blätter in verschiedensten Ausprägungen. Einige Stiele sind breit gehalten und aufwendig verziert. Schnürlöcher sind traubenförmig angeordnet. Statt Spiralen finden sich oft verschlungene Ranken.

Nicht nur die vom Grundgefäß ausgehende Lebensbaumanordnung ist interessant, sondern auch die von den Zweigen umringten Kreuz-Formationen.

Die Stickerei beinhaltet auch einige sehr interessante Flächenfüllmuster, auf die in einem eigenen Beitrag eingegangen werden soll.

Schwälmer Paradekissen-Borte (A)
Übergang von früher zu späterer Schwälmer Weißstickerei (1)
Übergang von früher zu späterer Schwälmer Weißstickerei (2)
Übergang von früher zu späterer Schwälmer Weißstickerei (3)

Granatapfelmotive (1)

Der Granatapfel war in der Weltkultur ein uraltes Symbol der lockenden Lebensfreude, aber später auch ein Zeichen der Macht und der Herrschaft. In der Schwälmer Weißstickerei wurde er als Zeichen der Fruchtbarkeit gesehen.

Alte überlieferte – und in einem nächsten Blogbeitrag auch zeitgenössische – gestickte Granatapfeldarstellungen aus der Schwalm können Anregungen für unterschiedliche Motivgestaltungen geben. Auch enthalten die Bilder diverse Beispiele unterschiedlicher Ausgestaltung durch Stickstiche oder Flächenfüllmuster.

Historische Schwälmer Türhandtücher

Früher war es üblich, lange schmale Tücher mit den unterschiedlichen Techniken der Schwälmer Weißstickerei zu verzieren. Die oft reich bestickten Handtücher wurden nicht als Überhandtuch genutzt, sondern an Festtagen an die Tür gehangen. Auch heute fertigt man gern Behänge – meist Wandbehänge – um die für die Stickerin schönsten und interessantesten Varianten der Schwälmer Weißstickerei zur Schau zu stellen. Es gibt eine breite Palette solcher Mustertücher.


Hier werden einige Beispiele vorgestellt (drei überlieferte und zwei zeitgenössische Stücke); sie werden detailliert und in der Reihenfolge von links nach rechts beschrieben.


Die alten Stücke sind deutlich länger als die neuzeitlichen Mustertücher. Sie sind ca. 30 – 40 cm breit und zwischen 1,90 m und 2,00 m lang.

Auffällig sind auch die Spitzen an den unteren Kanten der Tücher.

Das älteste Teil meiner Sammlung – ganz links – stammt aus 1801 (oder möglicherweise auch 1810). Es ist nicht in voller Länge abgebildet – das oberste Teilstück besteht aus unbesticktem Leinen.

Es hat einen Stopfhohlsaum unterhalb der Jahreszahl und eine Sprang-Spitze an der Unterkante.


In der Mitte wurde eine schmale Weißstickereibordüre gearbeitet, die auf beiden Seiten von einem Stopfhohlsaum eingefasst wurde. Alle Stopfhohlsäume dieses Tuches haben das gleiche Muster.

Die Weißstickereiborte besteht ausschließlich aus Kreismotiven, die mit 2 kurz-2 lang Stichen, geschnürten Bögen und Messerspitzen umrandet wurden. Kleine Blümchen aus Schnürlochbögen, gerundete Blätter und Spiralen sind auch zu finden. Alle Füllmuster sind lichte Flächenfüllmuster. In die rechte Kreisfläche wurde der Buchstabe „G“ eingestickt ( und möglicherweise ein unvollständiges „A“ in die linke Kreisfläche).


Eine Kreuzstich-Krone, Initialen und kleine rechteckige Kreuzstich-Ornamente vervollständigen die Stickerei.


Das zweite Beispiel von links ist ein schmales Tür-Handtuch von 1845. Es enthält Borten mit lichten Mustern. Hier handelt es sich um Endlos-Muster. Diese Art der Musterung ist selten zu finden – meist wurden lichte Musterborten mit figürlichen Motiven verziert. Dieses Tür-Handtuch enthält auch eine Weißstickereiborte, Initialen, die Jahreszahl und eine zweifarbige Kreuzstichkrone – ebenfalls eine Rarität. Bilder der Einzelheiten kann man in dem Beitrag Historische Schwälmer Weißstickerei und Maschinenspitze finden.


Alle Füllmuster sind lichte Flächenfüllmuster. Geschnürte Messerspitzen, spitze und gerundete Blätter, Spiralen, Schlängchen, Schnürlöcher (teilweise von Wimpernstichen umgeben) und Kreuzmotive kann man finden. Der Saum wurde mit einer Reihe von Kästchenstichen verziert.

Das dritte Beispiel von links enthält leider keine Jahreszahl. Es ist mit zwei schmalen Borten bestickt. Diese werden nur aus Kreismotiven, wenigen Knötchenstich-Linien und Spiralen gebildet. Alle Füllmuster sind lichte Flächenfüllmuster. Die Flächen sind mit geschnürten Bögen und Plattstichbögen umgeben. Zwischen den beiden Borten wurde ein Stopfhohlsaum platziert. Der separate Leinenstreifen mit dem Stopfhohlsaum wurde zwischen den bestickten Teilen eingesetzt.

Erbslochhohlsäume wurde zweimal gearbeitet – einmal zur Abgrenzung des Stopfhohlsaumes und dann zur Abgrenzung des eingesetzten Streifens.


Dieser Behang wurde weiterhin mit einer Plattstich-Krone, Initialen und kleinen Kreuzstich-Ornamenten verziert.

An der Oberkante wurde eine schmale Bordüre entlang eines Erbslochhohlsaumes gearbeitet. Kleine Kreise – umrahmt von Messerspitzen und geschnürten Messerspitzen – wurden mit lichten Mustern gefüllt. Spitze Blättchen und breite Stiele aus schrägen Schlingstichen sind auch zu sehen. Paare spiegelbildlich angeordneter Spiralen im Wechsel mit dreier Anordnungen von Bögen wurden entlang einer Stielstich-Linie gestickt.


An der Unterkante wurde Sprang-Spitze angefügt.


Es ist interessant, die Vielfalt an Möglichkeiten der Schwälmer Techniken auch auf solch alten Mustertüchern zu betrachten.

Die Einzelheiten der zeitgenössischen Wandbehänge werde ich in einem weiteren Beitrag präsentieren.

Musterdecken mit Schwälmer Weißstickerei

Mustertücher zu sticken, war und ist immer noch üblich und beliebt. Auch Schwälmerinnen gestalteten Mustertücher – Mustertücher mit sehr unterschiedlichem Aussehen. Einige davon werde ich in verschiedenen Beiträgen zeigen; der erste befasst sich mit Musterdecken.

In den 1920er Jahren gründete Alexandra Thielmann in Willingshausen eine Schule für Schwälmer Weißstickerei. Dort erlernten ältere Mädchen und junge Frauen das Sticken der Schwälmer Technik. Wenn sie dann perfekt sticken konnten, arbeiteten sie in der Werkstätte für Schwälmer Bauernstickerei und bestickten Kinderkleider aller Art, Damenkleider, feine Taschentücher, Leib- und Bettwäsche, Sofakissen, Altardecken, hauptsächlich aber Tischdecken, die in ganz Deutschland verkauft wurden. So trugen sie zu ihrem Unterhalt bei.

Mit dem Zurückgehen der Tracht und der damit verbundenen strengen, bäuerlichen Lebensweise suchte man nach anderen Verwendungsmöglichkeiten für die Stickerei. Damit einhergehend kam auch eine Wandlung der Musterzeichnungen.
Alexandra Thielmann (1881 -1966) „entschlackte“ die Entwürfe und entwarf neue Blütenformen. In fast all ihren Mustern findet man viele, spitz zulaufende Blätter. Einerseits passte sie sie dadurch dem Zeitgeschmack an, andererseits war die Stickerei nicht mehr ganz so zeitaufwändig und blieb auf diese Weise bezahlbar.

Zuerst mussten die Schülerinnen eine quadratische Decke besticken. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Stickerinnen waren sehr unterschiedlich. Die Musterdecke, die mir vorliegt, ist nicht die perfekteste, aber man kann an ihr den Inhalt des Unterrichts ersehen.


Die Schülerinnen mussten sehr viel lernen:

In der Mitte wurden Reihen mit unterschiedlichen Bögen, Schnürlochbögen, 2 kurz-2 lang Stichen, Messerspitzen, geschnürte Messerspitzen und Schnürlochspitzen , Wimpernstiche und geteilte, spitze Blätter zu Quadraten angeordnet. Oft wurden vier unterschiedliche schmale Stopfhohlsäume zugefügt.

Am Rand wurden Erbslochhohlsäume in Kombination mit vier verschiedenen breiten Stopfhohlsäumen gearbeitet und mit vier unterschiedlichen Eckbildungen versehen. Daneben wurden vier unterschiedliche schmale Börtchen platziert.

Die Flächen zwischen dem Mittelquadrat und der Randgestaltung wurden mit unterschiedlichen Weißstickereimotiven gefüllt. Hier sind die typischen Thielmann-Blumen (Tulpen und Osterglocke) und Herzen mit verschiedenen Umrandungsstichen zu sehen. Sowohl diagonal verlaufende als auch Muster im geraden Fadenlauf wurden geübt. Alle drei in der Schwalm angewendeten Typen von Flächenfüllmustern wurden gestickt. Oft wurde eine Krone zugefügt.

Hier sind Details zu sehen – einige perfekt, andere weniger perfekt gestickt:


Geteilte, spitze Blätter, Schnürlochbögen, Messerspitzen, 2 kurz-2 lang Stiche, Schnürlochspitzen, Wimpernstiche, Plattstichbögen, Schlingstiche und Kettenstiche


sowie verschiedene schmale Stopfhohlsäume wurden in der Mitte der Decke quadratisch angeordnet.


Am Rand wurden Erbslöcher beidseitig breiter Stopfhohlsäume gestickt.


Daneben sind unterschiedliche kleine Börtchen zu finden.


Im Bild oben wurden Hexenstiche als kleines Börtchen verwendet.


Abhängig von der Fertigkeit der Schülerinnen wurden manchmal auch aufwändige kleine Börtchen entworfen.

Muster für solche Börtchen kann man in meinem Buch Schlängchen & Co – Schwalmtypische Börtchen und Zierstiche finden.


In der Schwalm gebräuchliche Ecklösungen für Stopfhohlsäume wurden geübt. Dazu gehörten Gittermuster


und Spinnen.


Verschiedene Ecklösungen für Stopfhohlsäume kann man in meinem Buch Randabschlüsse finden.


Sowohl viele spitze Blätter


als auch Spiralen (hier mit Schnürlochbögen versehen) wurden gestickt.


Alle üblichen Motive sind zu finden: Körbe


Vögel


und natürlich Herzen mit verschiedenen Umrandungen (Messerspitzen


oder geschnürte Messerspitzen).


Sehr unterschiedliche Blumenformen und Kreise wurden bestickt.


Eine breite Palette verschiedener Flächenfüllmuster – sowohl lichte als auch Limet – wurde angewendet. Auch figürliche Muster wie Sterne


und Nadelspitzenfüllungen sind zu sehen.


Zum krönenden Abschluss wurden Kronen gestickt.
Sehr viele und sehr unterschiedliche Kronenmuster kann man in meinen Büchern Schwälmer Kronen und Prächtige Schwälmer Kronen finden.

Die meisten der vielfältigen und sehr unterschiedlichen Schwälmer Techniken wurden an einem einzigen Tuch gelehrt! Weil Musterbücher damals selten und oft unerschwinglich waren, gerieten solche Mustertücher zu einer großartigen Quelle für Stickerinnen.

Zufällig habe ich gerade eben noch Bilder einer weiteren Thielmann´schen Übungsmuster-Decke bekommen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Besonders interessant sind hierbei die wenigen Flächenfüllmuster, die der frühen Schwälmer Weißstickerei entstammen. Neben den Mittelquadraten kann ich hier auch alle vier Eckmuster und die vier Muster der mittleren Seitenbereiche zeigen.